Plädoyer für ein gottloses Staatswesen
Staat ohne Gott ist ein über mehrere Jahre gereiftes Plädoyer für einen säkularen Staat. Es ist ein Produkt, das basierend auf unterschiedlichen Vorlesungen und Vorträgen des Juristen Horst Dreier (Ordinarius für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg) entstanden ist. Dieser beginnt das einführende Kapitel gleich mit einer wichtigen Klarstellung: „‘Staat ohne Gott‘ heißt nicht: Welt ohne Gott, auch nicht: Gesellschaft ohne Gott, und schon gar nicht: Mensch ohne Gott.“ (9) Sein Text ist somit kein atheistisches oder gar anti-theistisches Werk, auch wenn es sicherlich für Humanist*innen und Freidenker*innen eine lohnende Lektüre darstellt, obwohl diese in seinen Überlegungen keine Rolle zu spielen scheinen. Vielmehr ist es ein Versuch, die Religionsfreiheit als Voraussetzung für einen multireligiösen Staat zu manifestieren.
Seine Grundüberzeugung, die er hier fundiert darlegt, lautet vielmehr: „Die verschiedenen religiösen Gruppen können sich überhaupt nur dann ungehindert als gleichberechtigte Freiheitsträger mit umfänglichen Betätigungsmöglichkeiten entfalten, wenn der Staat selbst sich weltanschaulich strikt neutral verhält und nicht Partei ergreift.“(10) Er wirbt gar dafür, dass es der Stärkung des Religiösen in der Gesellschaft dienen könne, wenn die Trennung von Staat und Religion strikt vorgenommen wird. Eine strikte Trennung von Staat und Religion war auch in der Vergangenheit immer wieder von theologischer Seite gefordert worden – u.a. von Friedrich Schleiermacher, dem ersten Dekan der theologischen Fakultät an der heutigen Humboldt Universität zu Berlin. Diese Traditionslinie spielt allerdings keine Rolle in seiner Argumentation.
In sechs, in sich geschlossenen Kapiteln versucht Dreier dabei Grundfragen des säkularen Staates zu diskutieren. Es handelt sich um eine Abhandlung über die Verwendung des Begriffs „Säkularisierung“, Durchsetzung der Religionsfreiheit in Deutschland – ausgehend vom Augsburger Religionsfrieden von 1555, über die Paulskirchenverfassung von 1848/49 bis zum bundesrepublikanischen Grundgesetz (Artikel 4), Diskussion des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, Übernahme sakraler Elemente im staatsrechtlichen Denken, der Gottesbezug im Grundgesetz („Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen.“, Präambel des GG) und die Diskussion eines Diktums von Ernst-Wolfgang Böckenfördes, einem bekannten Verfassungsrechtler und Rechtsphilosophen.
Trotz des juristischen Backgrounds des Autors ist das Buch in einer auch für Laien verständlicher Art und Weise verfasst. Ihm gelingt es zu dem, was keine Selbstverständlichkeit ist, einen durchgängigen roten Faden zu halten, obwohl die einzelnen Kapitel jenes Buches einen unterschiedlichen Entstehungshintergrund aufweist. Tagesaktuelle Debatten weitgehend ausklammernd liefert Dreier einen wichtigen, grundlegenden Beitrag für die Diskussion um Bedeutung und Notwendigkeit eines säkularen Staatswesens. Es stellt somit eine lohnenswerte Lektüre dar.
Maurice Schuhmann