Ingo Elbes: Antisemitismus und postkoloniale Theorie
Es gibt Bücher, die wie ein Stein ins Wasser in eine schimmernde Kontroverse geworfen werden und Ringe aufwerfen, und alles um sie herum beginnt zu funkeln und zu vibrieren. Ingo Elbes „Antisemitismus und Postkoloniale Theorie“ ist ein seltener Steinwurf dieser Art: Jede Seite oszilliert zwischen Polemik und Genauigkeit, jede Fußnote richtet sich an das, was für viele zu einer moralischen Selbstgewissheit geworden ist. Die ersten Sätze der Einleitung klingen bereits wie das Brüllen einer Waffe: Die Mbembe-Affäre ist nichts anderes als der Prolog eines „Trommelfeuers“ auf die Holocaust-Erinnerung und Israel, hervorgerufen durch die Geste des Antirassismus.
Man kann dieses Buch nicht lesen, ohne seine Haltung zu straffen. Elbe schreibt mühsam, aber nie mühsam; diejenigen, die ihm gefolgt sind, wissen, dass er seinen Zorn über die Jahre abgekühlt hat und ihn nun kristallin anbietet. Das Inhaltsverzeichnis könnte als antizyklischer Schlachtplan dienen: von der „konzeptionellen Eliminierung des Antisemitismus“ über die „Dämonisierung Israels“ bis zur „Entjudaisierung des Namens ‚Jude'“. So ist es von nun an offensichtlich, dass Elbe die postkoloniale Theorie nicht in ihren verwässerten universitären Fast-Food-Bytes des Unsinns denkt, sondern in ihrem dogmatischen Endzustand, in dem sie die Form der Inversion annimmt und – das ist seine zentrale These – antisemitische Denkmuster wiederherstellt.
Besonders beeindruckend ist das umfangreiche Kapitel zur Holocaust-Relativierung. Elbe erinnert daran, dass Antisemitismus nicht einfach eine Form von Rassismus ist, sondern ein Todesprogramm in seiner eigenen Sprache: „postkoloniale Paradigmen, die ihn unter Rassismus subsumieren“, verlieren beispielsweise das absurde Telos des Antisemitismus aus den Augen. (Beitrag Deutschlandfunk) Wer wie beispielsweise Achille Mbembe oder Dirk Moses den Holocaust einen „Kolonialgenozid unter vielen“ nennt, schafft die geistige Voraussetzung – und öffnet die Tür – für die moralische Unmöglichkeitserklärung Israels – und damit die Bühne dieser ‚pädagogischen Gemeinschaft derer, die leiden‘ -, in der sich die Opfer so lange miteinander messen, bis die Juden als angeblich privilegierte zurückbleiben.
Dass diese Diagnose kein hyperbolischer Spin ist, belegen die literarischen Petitessen, die Elbe aus diesen Referenzen zitiert. Selbst wenn er Gelehrte wie Bruno Chaouat einsetzt, um die „säkularisierte Substitutionstheologie“ der zeitgenössischen Rhetorik oder den Dekolonialisten Ramón Grosfoguel, der Israel in die „Kräfte des Todes“ verbannt, zu enthüllen, liest man es fassungslos als Parodie – aber es ist überhaupt keine Parodie. Elbe legt die Stücke fast wie Beweise aus, hält sie ins Licht, bis die in ihrer Tiefe eingeschriebene Logik sichtbar wird: die alte Idee, dass Juden ihre historischen Chips eingelöst haben und nun der „universellen Menschheit“ weichen müssen.
Es ist im Ton eine „Kriegserklärung“ – wie Michael Köhler im Deutschlandfunk schrieb – mit dem Buch, das „die Bücher abrechnet“ mit einem theoretischen Modell, das sich rühmt, progressiv zu sein. Aber Köhler vergisst nicht die Dialektik: Weil Elbe den Antirassismus ernst nimmt, seziert er gründlich seine blinden Flecken. Sehepunkte-Rezensent Andreas Rentz feiert die methodische Doppelstrategie – Faktenprüfung und Theologiekritik –, die das Buch vor reiner Polemik rettet. ([sehepunkte. de (Periskop der Welt) Hannes Stein wundert sich, im Periskop der Welt, wie Elbe dreimal dasselbe Spiel spielt, nämlich die drei je-selbigen Strategien von Israelfeinden unter die Lupe zu nehmen: Antisemitismusebene, Holocaustebene, Israel verteufeln.[1] ([kritischebildung. de][2])
Natürlich ist nicht alles, was so hell glänzt, Gold. Elbes Stil funkelt mit einem Chor von Klammern – manchmal fühlt es sich an, als ob Satzdruckpunkte drohen, den Satz mit ihrem eigenen Gewicht an Beweisen zu sprengen. Und diejenigen, die in der Feuilletonpraxis gelernt haben, dass Ironie etwas bewirken kann, mögen, wenn auch nicht mehr mit echter Befriedigung, gelegentlich die ironiefreie Version der Pathoszone des Autors in der Prosa des Autors bemerken. Doch: Seine Kritik ist mehr „Negative Dialektik“ als Boulevardclub; er sucht aufzuklären, indem er kompliziert, nicht zu vereinfachen.
Das Buch hat weniger mit alttestamentarischem Zorn zu tun als mit Archäologie der Konzepte. Elbe verfolgt, wie Edward Saids „Orientalismus“ zu einem Metanarrativ wurde, in dem das „koloniale Kontinuum“ alles verschlingt – selbst wenn darin kein Platz mehr für die Spezifität dessen ist, was den Holocaust auszeichnet. In dieser Verengung wird Israel als einziger verbleibender Kolonialstaat umbenannt; jüdischer Partikularismus wird zur kosmopolitischen Erbsünde. Wer mit dieser Operation vertraut ist, weiß, warum nach dem 7. Oktober 2023 der Terror relativiert wurde, während die israelische Selbstverteidigung zum Teufel gemacht wurde.
Letztendlich liefert er keinen tröstlichen Schluss und bietet am Ende von 400 dicht bedruckten Seiten keine Versöhnung, nichts als das dringende Bestehen darauf, den Antirassismus von seinem antisemitischen Schlacke zu säubern. Das klingt fast pastoral, ist es aber nicht, es ist einfach liberal: eine Verteidigung der universellen Rechte gegen die tribalistische Instrumentalisierung derselben. Es ist eine ermüdende Lektüre, gelegentlich rau, aber das ist ihre demokratische Tugend: Niemand wird verschont.
Wenn Sie also daran interessiert sind, warum ein Teil der akademischen Linken erneut die „Judenfrage“ aufwirft, wenn Sie sich fragen, wie „Kritik am Westen“ so leicht zur Dämonisierung Israels wird und wie man dagegen anreden kann, können Sie Elbes Buch nicht vermeiden. Sie könnten seine Schärfe als theatralisch empfinden; Sie könnten seinen Alarmismus teilen. Aber eines tut es sicher: Es zwingt zur Klärung, zur konzeptionellen Hygiene. Und Hygiene, das wusste Heine schon, ist die poetischste aller Medizin: Sie heilt durch Licht.
https://www.sehepunkte.de/2024/05/38869.html (Eine weitere Rezension)