Erich Fried – eine kurze Würdigung
Erich Fried hat mir, wenn auch weniger, als Heinrich Heine, den Weg eröffnet, politische Lyrik als eine Leistung zu akzeptieren, die weit über jene Lyrik hinausreicht, die sich als verinnerlichte Sicht auf Seelenzustände gibt. Seine Klarheit der Sprache, die ja mit Heines Schnörkellosigkeit korrespondiert, haben eine ganze Generation von Lyrikern beeinflusst. Sie war influenzierend – und zwar im Sinne von „ladend“, also in der physikalischen Bedeutung.
In den letzten Jahren, unscharf fokussiert seit der späten Mitte der Achtziger des vorigen Jahrhunderts, hat es im Rahmen der durch die Regierung Kohl angestoßenen Wertewende eine Diskussion gegeben, die Fried, aber auch Schriftsteller wie Lenz oder Böll, aus der Hochliteratur entfernen will. Es ist der ewige deutsche Oberstudienrat, dieses Wesen aus der Feuerzangenbowle, dieser Geist aus Benimm und deutscher Seelenschau, aus Formwahrung und Klassizismus, der ein Problem mit Fried hat. Man muss das wissen, um die Pappenheimer beurteilen zu können, die sich die Deutungshoheit über Kunst in Deutschland aneignen wollen.
Zur Beruhigung gleich hinterher: Je artifizieller die Kunst wird, welche durch sie gepappheimert wird, je größer die Potemkinschen Dörfer werden, desto mehr lösen sich ihre Kleider auf: Sie sind, da kann es gar keinen Zweifel geben, Kaiser ohne Kleider, die sich allerdings allenthalben nackt dem Feuilletonvolk präsentieren. Und einige wenige jubeln noch, wobei die Betonung auf „einige wenige“ liegt. Sie werden sich, steht zu hoffen, selbst aus den Reihen jener schießen, die dann zwar noch immer verhindern werden wollen, dass es zu einer Renaissance politischer schöngeistiger Literatur kommt. Aber immerhin würden sich die Reihen lichten.
Fried ergeht da nicht anders als Robert Gernhard, dessen ernste und humoristische Gedichte ebenfalls zu jenem Teil neuer deutscher Lyrik gehören, die schon deshalb beachtenswert ist, weil sie sich aus der Verkleisterung einer falsch verstandenen Romantik so grandios gelöst haben. Anders als Fried aber, war Gernhardt der Form stark verhaftet.
Erich Fried hat seine schriftstellerische, seine dichterische Arbeit stets als Teil eines Gesamtkonzeptes begriffen. Aktiv hat er in das politische Geschehen eingegriffen. Er war auf Demonstrationen und bei Blockaden ebenso zu finden, wie auf dem Podium. Wenn es darum ging, über das Wort hinaus zu gehen, wenn also dem Schreiben auch die Tat folgen musste – für ihn folgen musste -, dann folgte sie.
Er gab seine Gedichte kostenlos an Kleinzeitungen, auch weil er wusste, dass sein bedeutender Name dem Anliegen der Publikationen dienen würde. Er hat sich eingesetzt und er hat auf höchstem Niveau gedichtet. Mehr Lob kann es kaum geben.
Seine Liebesgedichte zählen, auch dann, wenn sie mit gewollter – und gekonnter – Albernheit daher kommen, zu den Perlen neuer Liebesdichtung. Sein bekanntestes Gedicht aus diesem Bereich seiner Arbeit dürfte „Was es ist“ sein (Es ist Unsinn/sagt die Vernunft/es ist was es ist/sagt die Liebe …). Tausendfach kopiert, tausendfach auf Websites zu finden, in Liebesbriefen und in mehreren Vertonungen, hat es sich einen dauerhaften Bestand im Raum der besten deutschen Liebesgedichte gesichert.
Es ist, wie die Dichtung von Fried es überhaupt ist, klar und doch tief durchgezeichnet, es berührt, aber nicht auf oberflächliche Art, es nimmt wahr und denunziert nicht, es schert sich nicht um den Dichter, trägt also nicht ihn, sondern nur sich selbst zum Rezipienten. Das ist, was Gedichte, meistens, leisten sollten und bedauerlicher Weise so oft nicht tun. Frieds Gedichte aber schaffen es, sich der Eigenschaft von Werbebotschaften für den Dichter zu enthalten. Und sie schaffen es auch, nicht zu schrubeln. Sie sind unverwunden, nicht gestelzt, nicht mit der Undurchsichtigkeit des Rauchs eines deutschen Bildungsbürgertums neuer Prägung versehen. Sie treffen ins Herz – mehr noch: In den Kopf – des Lesers.
Mehr kann man nicht wollen.
(Foto: Bundesarchiv)