Was wir gestern in Berlin gesehen haben, das war das Aufstehen der sogenannten Zivilgesellschaft gegen die Feinde von Demokratie und Menschlichkeit, gegen erstarkenden Nationalismus und auch – ja das auch – gegen den immer stärker werdenden nationalsozialistischen Flügel der AfD.
Ob es letztlich 72.000 Gegendemonstranten waren, wie die Demoleitung vermeldete, oder ob es eher zwischen 55.000 und 60.000 waren, wie ich und andere Beobachter es einschätzen, ist letztlich einerlei. Es waren auf jeden Fall mehr als die 25.000 Teilnehmer, die die Polizei offiziell bekannt gibt. Auf der anderen Seite demonstrierten in einem langgezogenen Zug, mit viel Abstand zwischen den Teilnehmern, zwischen zweitausend und dreitausend Rechtsradikale. Sie trugen schwarz-rot-goldene Fahnen. Das ist mir persönlich, wegen der Geschichte dieser Farben, ein Ärgernis. Sie gehören nicht den Revanchisten, nicht denen, die sonst lieber die Reichskriegsflagge schwenken, nicht den Extremisten um Höcke und Konsorten. Und auch, wenn es ist, wie es ist:  Sie tragen die Fahne der deutschen Demokraten um sich jenen Teil der Geschichte zu stehlen, der doch völlig gegen sie steht.
Bunt allerdings waren die Proteste gegen die Rechtsradikalen. Vielfältig, friedlich, divergent zu allem, was Forderung und Sicht der radikalen Rechten sind.

Die Proteste waren eine Vereinigung von Organisationen und Individuen ganz unterschiedlicher politischer Positionierung. Da kamen die demokratisch gesinnten Bürger*innen zusammen. Sozialdemokraten und Sozialisten, Grüne und Piraten, Kommunisten und Christen, Christdemokraten und Anarchosyndikalisten. Da stand also ein so breiter Durchschnitt des hiesigen Staatsvolkes gegen die, die vorgeben „das Volk“ zu sein, dass deutlich wurde, wer in der Realität, abseits der sozialen Netze und der Irrealität virtueller Räume „das Volk“ ist. Die AfD ist es nicht. Sie und ihre Mitläufer aus Identitärer Bewegung, Pegida und freischwebenden Rechtsextremisten sind weit von der Mehrheit der Einwohner dieses Landes entfernt. Sie wären, so ein Plakat, wie Dixie-Klos: Außen blau und innen braun. Und sie haben keine Mehrheit.

Die Wahlergebnisse haben viele glauben gemacht, dass die Rechtsradikalen auf dem Weg an die Macht wären; und tatsächlich droht auch weiterhin eine Parallelität zu 1933. Aber sie ist nur dann eine reale Gefahr, wenn auch fürderhin rechtsbürgerliche und bürgerliche Parteien, wie z.B. die CSU, die Parolen der Rechtsradikalen übernehmen. Gibt man nach, so stärkt man sie – und zugleich verändert sich die eigene Position. Denn das Nachgeben muss ja getragen werden können. Und das geht nur durch die Aufgabe von humanitären und demokratischen Beständen in der Programmatik. Dort wo man nicht nachgibt, wird man die Rechtsradikalen in die Ecke stellen können, in die sie gehören.

Seit den ersten diesbezüglichen Erhebungen in der Bundesrepublik wissen wir, dass wir einen Bodensatz von 10 bis 15 Prozent extremen Rechten, Antisemiten und Rassisten haben. Vielen allerdings war die NPD zu schmuddelig, sie blieben lieber in der Wählerschaft von CSU und CDU beheimatet, in Frühzeiten der Republik auch bei starken Kleinparteien oder der FDP, die immer schon einen starken liberalnationalen Flügel hatte (der Bundesanwalt Stahl gehörte dazu). Es brauchte die Honoratioren der ersten AfD um Lucke, um für eine Veränderung des Wählerverhaltens zu sorgen. Was dort rekrutiert wurde, sind die in den Statistiken Deutlichen, in den Wahlergebnissen jedoch fast Unsichtbaren. Erst wenn man ihnen die Tore öffnet, werden, auch aus Furcht, andere sich an ihre Seite stellen. Und später dann mehr noch aus Karrieregründen. So wird auch der kleinen Gruppe der Hartgesottenen die große Gruppe der durch Furcht und Wohllebenswünsche Korrumpierten.
Es wäre deshalb an der Zeit, ein Verbotsverfahren gegen die AfD vorzuprüfen und die notwendigen geheimdienstlichen Maßnahmen zu ergreifen. Es wäre aber gleichwohl auch an der Zeit, gegen rechtsradikalen Mitarbeiter bei den Polizeien der Länder, der Bundespolizei und den Verfassungsschutzämtern vorzugehen, die jeden Versuch, den Rechtsstaat zu verteidigen im Zweifel unterlaufen werden.

Gesten hat sich gezeigt, dass die Zivilgesellschaft stärker ist, als die Rechtsradikalen. Es ist nun die Aufgabe der Zivilgesellschaft dafür zu sorgen, dass es auch so bleibt.