Yuval Noah Harari hat mit „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ ein gutes und – was ebenfalls erheblich ist – ein wichtiges Buch geschrieben. Es bietet auf gut fünfhundertdreißig Seiten eine Fülle von Informationen über die Entwicklung unserer Spezies von den Anfängen bis heute. Das ist eine große Leistung. Und in der Tat stimmen die Fakten deshalb in besonderem Maße, weil Harari es nicht versäumt, auf differierende wissenschaftliche Positionen hinzuweisen. Und die gibt es sowohl im Bereich der Frühgeschichte, als auch in der Geschichte der Gegenwart. Es ist, das ist gar nicht anders möglich, wenn man sich auf eine so geringe Seitenzahl (gemessen an der Länge der Geschichte) begrenzt, ein in den Fakten gedrungenes Buch.
Der große Verdienst Hararis ist es, mit einigen üblichen Vorurteilen aufzuräumen, die im Rahmen der biologistischen Diskussion um menschliche Verhaltensweisen in den letzten Jahren auch von Menschen vertreten werden, die ansonsten ganz normal sind. Harari weißt auf die entwicklungsgeschichtlichen Notwendigkeiten hin, die in vieler Momenten eben nicht das Resultat instinktgesteuerte Handlungsweisen sind, sondern sich aus dem Zwang ergeben vernunftgesteuert, d.h. sozial determiniert, zu handeln. Das Buch sei deshalb gerade jenen empfohlen, die ernstlich … nein, mit einer gewissen intellektuellen Albernheit … glauben, wir würden uns nicht wesentlich von unseren entfernten Verwandten, den Schimpansen oder Bonobos unterscheiden. Der Erkenntnisprozess wird bei solchen Individuen unserer Spezies enorm sein und ihr Leben um entscheidende reale Sichtweisen bereichern.
Harari geht, fast durchgängig, chronologisch vor. Nicht immer lässt sich aber, schon um das Buch auch für Nichthistoriker lesbar zu machen, dieses Vorgehen durchhalten. Und so fließen in manche Betrachtungen zurückliegender geschichtlicher Ereignisse auch Episoden ein, die erst kürzlich stattgefunden haben. Die rekursive Näherung von Gegenwart und Vergangenheit ist logisch und gut gemacht.
Spannend wie ein Krimi lesen sich über große Strecken die Betrachtungen. Es ist ein Buch, dass sich als Reiselektüre ebenso eignet, wie als wissenschaftliche Seitwerk oder für die abendliche Lesestunde. Es langweilt nicht und enthält sich Längen, wo immer es sich enthalten kann.
Seine Darstellung des Übergangs vom Wildbeutertum zu agrarischen Gesellschaften deckt für historische Laien Fakten auf, die üblicherweise nicht benannt werden. Die kürzere Lebensdauer der Ackerbauern zum Beispiel, die Veränderungen in der Soziologie der Populationen, die Entwicklung der Religion. Die Ausführungen zur Geschichte der Hochkulturen und der Gegenwart schaffen Ähnliches.
Doch zugleich begeht Harari den Fehler, der im Verlauf des Buches immer weiter zunehmenden Interpretation von Fakten, der sich insbesondere in Bereich der „Neuzeit“ kulminiert. Hier offenbaren sich strukturelle Fehler und ideologische Verirrungen. Denn Harari wird, wenn auch verwässert postmodern und diese ideologische Drift zieht ihn in gefährliches Wasser. So ordnet er ‚Politik‘ und ‚Religion‘ dem gleichen Bereich zu. Das ist aber falsch. Denn er begeht den Fehler die Sinnbereiche des ‚Religiösen‘ und der ‚Politik‘ aufgrund sich ähnelnder Muster zu vermengen. Selbstverständlich kann ich meinen Küchenstuhl zu einem religiösen Möbel erklären. Ich brauche dazu z.B. ein Symbol, z.B. mich und den Willen zu behaupten, wenn ich auf meinem Küchenstuhl säße und bete, würde er sich nicht mehr von einer Kirchenbank unterscheiden. Das kann ich tun, ich muss aber nicht. Denn wenn ich es tu‘ vermenge ich den Sinnbereich meines Haushalts mit dem Sinnbereich einer Kirche. Das Ergebnis ist ontologisch unbrauchbar. Da hängt der ansonsten gut ausgeworfene Angelhaken für ordentliche Geschichtsfischerei bei Harari in der Luft. Er verengt, wo es gar keine Notwendigkeit zur Verengung gibt – außer der Ideologie, die mit der Verengung transportiert werden soll und diese Ideologie braucht die Verengung.
Nationalstaaten sind, anders als Harari annimmt, keine Mythen, sie sind auch keine Illusionen, sondern Kopfgeburten von Menschen, die zu einem bestimmten und bestimmbaren Zeitpunkt entstanden sind und soziologische, politische Zwecke haben. Sie gehören in den Gegenstandsbereich des Rechts und in den Sinnbereich der Politik. Ganz offenbar sind sie wirklich (Schopenhauer), denn wenn ich nach Polen fahre, zahle ich hinter der Grenze zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Zloty und die Menschen sprechen eine andere Sprache, die Autos haben andere Kennzeichen und Fisch ist billiger. Nationalstaaten sind keine große Erzählung. Diese Verhuschung von Realitäten, die Vermengung von sozusagen physikalischen oder biologischer Wirklichkeit und politischer, um sie zugleich zu scheiden und die eine Realität in eine Art Scheinrealität zu sondern, ist ein grundsätzlicher philosophischer Fehler, der leider immer evidenter zutage tritt, je mehr sich Harari der Gegenwart nähert.
Noch zu besprechen wäre in Literaturglobe das Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ von Markus Gabriel. Und weil man schlechterdings nicht empfehlen kann, dass sich der verehrte Leser nun in den Marximus vertiefen solle und in die um ihn herum angesiedelte Forschung, empfehle ich, um die Weltsicht zu erden, wie man so schön falsch sagt, eben das Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ vor der Lektüre von Hararis umfänglichem Werk. Es hilft, sich gegen die ideologischen Verirrungen des Historikers zu wappnen und die historische Essenz des hier besprochenen Buches gleichwohl mit Erkenntnisgewinn aufzunehmen.
Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit
DVA, ISBN: 978-3-421-04595-9
Über den Autor: Yuval Noah Harari (geb. 1976) ist Geschichtsdozent an der Hebräischen Universität Jerusalem. Er ist als Historiker zur Militärgeschichte bekannt geworden und schreibt eine Kolumne in der Zeitung Haaretz. Das Buch “Eine kurze Geschichte der Menschheit” war für 100 Wochen auf Platz 1 der Sachbuchbestseller in Israel.