Anlässlich des 25. Jahrestages der Maueröffnung und der damit verbundenen Jubelfeiern erschien beim Graswurzelverlag der Sammelband « Alles verändert sich, wenn wir es verändern » von der Buchgruppe Offene Arbeit. Aus den Reihen der Offenen Arbeit, dem radikalsten Flügel der DDR-Opposition, stammt auch der wegen seiner antifaschistischen Tätigkeiten im Visier der Polizei stehenden Dresdner Jugendpfarrer Lothar König, dessen Fall in aller Munde war und dessen Einsatz für den Antifaschismus ein gutes Beispiel für die Tätigkeiten der Offenen Arbeit ist. Die Offene Arbeit als ein Hort der Opposition hat überlebt und ist auch gegenüber den Zuständen nach der Wiedervereinigung Deutschlands kritisch gegenüber.
« Die Offene Arbeit wirkt als Evangelische Kirche in gesellschaftliche Bereiche hinein. Sie ist Teil von Initiativen, Bündnissen und Netzwerken, die sich zum Beispiel für soziale Gerechtigkeit, für den Ausstieg aus der Atomenergie, gegen Rassismus und Rechtsextremismus und für gewaltfreie Konfliktlösungen einsetzen. » (S. 85) definiert Matthias Weiss das Konzept der Offenen Arbeit (der evangelischen Kirche). Ergänzend hierzu schreibt Wolfgang Musimann: « Offene Arbeit entsteht, wenn Menschen zusammenkommen, miteinander sprechen, diskutieren, sich und anderen beistehen und wenn daraus Engagement für das Leben hervorgeht. » (S. 97). Das Konzept der Offenen Arbeit ist ein Produkt der 68er Ideen gewesen und entstand zu Beginn der 70er Jahre in der DDR. Sich auf ein urchristliches Gedankentum beziehend ging es darum, in der Gesellschaft zu wirken und sich um marginalisierte Randgruppen zu kümmern. Eng verknüpft hiermit war die Utopie einer Herrschaftsarmut / -freiheit, wie sie sich auch im christlichen Anarchismus von Leo Tolstoi findet. Dieser bildete zwar augenscheinlich keine Referenz für ihr Denken. Dafür ist es ein anderer Name, in dessen Tradition man sich verortet – Dietrich Bonhoeffer, einem der wichtigsten Vertreter der Bekennenden Kirche. Dem Thema ist auch ein eigenes Kapitel gewidmet.
« Ideologisch » bewegt sich die offene Arbeit zwischen Christentum, Marxismus und Anarchismus (vgl. S. 14), d.h. es ist eine Mischung, die sich auch in der Neuen Linken wiederfindet.
Einige feste Quartiere fand nach Angaben von Wolfgang Rüddenklau, die Offene Arbeit der Kirche in Erfurt, Jena und Rudolstadt. (1) Von den Erfahrungen aus der Arbeit in Erfurt und den Perspektiven für die Zukunft handelt jener Sammelband. In Form von Berichten, Analysen, Dokumenten und Interviews mit Aktivisten werden Geschichte der offenen Arbeit und Themen wie Unterwanderung und Bespitzlung durch die Stasi, Verhältnis zwischen OA und Punks, Frauen in der OA sowie die OA als Freiraum behandelt. Den Herausgebern des Bandes geht es um:
— eine Bilanz
— eine Schlussfolgerungen
— und eine Positionsbestimmung.
Es ist vierzehn Jahre nach der ersten Publikation – « Offene Arbeit – Selbstauskünfte » -, welche im Eigenverlag erschien, eine erneute Bestandsaufnahme der Offenen Arbeit. Abschliessend findet sich das Basisdokument der Offenen Arbeit, welches massgeblich von Walter Schilling, dem Spiritus rectus der offenen Arbeit. Dabei kommen neben den alten Recken der Bewegung auch ein paar jüngere Vertreter sowie Vertreter aus dem Westen, die noch zu DDR-Zeiten, die Gemeinde besucht hatten, zu Wort. Hier wäre es spannend gewesen, die Perspektiven der jungen Aktivisten zu hören, deren Biographie einen ganz anderen Hintergrund liefert.
Das Buch ist zweifellos ein sehr wichtiges und relevantes. Es ist als eine Geschichte von Unten von grosser Bedeutung als auch als ein Beispiel für die Schaffung eines Freiraums mit allen seinen Schwierigkeiten und Konflikten. Zwei Aspekte, die mir persönlich fehlen, sind die die kritische Reflektion der Institution Kirche sowie die Auseinandersetzung des spezifisch ostdeutschen Ansatzes. Hier wäre es spannend zu diskutieren, inwieweit diese Tradition auch für das vereinigte Deutschland neue Perspektiven bietet. Dennoch ein sehr wichtiger Beitrag zur Diskussion und Geschichte.
Maurice Schuhmann
Buchgruppe Offene Arbeit (Hrsg.): Alles verändert sich, wenn wir es verändern. Die Offene Arbeit Erfurt im Wandel der Zeiten (1979-2014), Verlag Graswurzelrevolution Heidelberg 2014, 242 S., Preis: 19,60 €, ISBN: 978-3-939045-24-3.
(1) Vgl. Wofgang Rüddenklau: Störenfried. DDR-Opposition 1986-1989, Basisdruck Berlin 1992, S. 27.