Courtney Hadwin. Soul im 21. Jahrhundert

Courtney Hadwin wurde 2004 in England geboren. Die nun achtzehnjährige Sängerin hat eine atemberaubende und völlig ungewöhnliche Karriere hingelegt.

Ich begegnete ihr zum ersten Male auf youtube, wo ich eine Aufnahme von „A Change Is Gonna Come“, dem tausendfach interpretierten Lied von Sam Cooke, von ihr hörte. Es war eine Live-Aufnahme, die auf einem Gesangswettbewerb für Kinder gemacht worden war. Das war wohl 2016 und Courtney Hadwin war 12 Jahre alt. Die Interpretation hatte natürlich Schwächen, aber zugleich war der zweite Teil des Songs von einer unerwartbaren Stärke und Intensität. Das, was Hadwin da auf der Bühne machte, war bereits damals verwandt mit Janis Joplin; mit der Art Stücke quasi expressionistisch und unter weitgehendem Verzicht auf die Beleuchtungsfunktion, die die Songs für die Interpretierenden haben, darzubieten. Die Musik ist wichtig, die Interpretation, das Herausmeißeln der Gefühlswelt des Textes – nicht aber die Person, die das alles tut.
Courtney Hadwin öffnet den Stücken und deren Wesensgehalt quasi den Vorhang zur Bühne. Sie ist dabei ganz verwandt mit der Weise, in der Natalie Schwamova Klavier spielt: Die Musik wird quasi nicht durch die Interpretin geformt, sie, die Musik, scheint sich ihrer, der Interpretin, gewissermaßen zu bedienen.

Wer ein Konzert von Janis Joplin oder Joe Cocker, von Erma Franklin oder Otis Redding gesehen hat, wird vielleicht verstehen, was ich meine. Die Person des Interpreten tritt ganz zurück, auf der Bühne befindet sich, in bestem Sinne der Handlungsgehilfe der Musik.

Courtney Hadwin, war in der Zeit zwischen 2015 und 2018 Filialistin in britischen und us-amerikanischen Wettbewerben, so u.a. 2017 bei Voice Kids UK und 2018 bei America’s Got Talent. Im gleichen Jahr unterzeichnete sie einen Plattenvertrag mit Arista. Inzwischen ist die EP „The Cover Sessions“ erschienen. Der Kurzplayer enthält vier Stücke: Sign of the Times, Old Town Road, Sucker, Someone you loved. Es ist bedauerlich, dass die Aufnahmen in ihrer technischen Qualität eher reduziert sind und die Orchestrierung unzureichend. Die extraordinäre Stimme Hadwins überstrahlt quasi einen Acker ohne Fruchtstand.

Es gibt eine gute Übersicht, über die Auftritte Courtney Hadwins, auch der noch sehr jungen, bei youtube, natürlich oft mit allen Mängeln, die Smartphone-Mitschnitte haben können. Schon früh hat sie sich offenbar auch in der queeren Community engagiert. Jedenfalls gibt es Auftritte von ihr auf queeren Festen.

Was ihr fehlt, wie vielen jungen Talenten, sind für sie geschriebene, neue Songs. Stücke, die durchkomponiert sind und nicht nur aus konfektionierten Sequenzen bestehen. In Falle von Courtney Hadwin vorrangig, so meine ich, Stücke, die an die Tradition des Northern und Progressive Soul anknüpfen, die aber nicht nostalgische Totenehrung sind. Den natürlich ist der stärkste derzeit festzustellende historische Bezug der zu Komponisten und Interpreten wie Sam Cooke, Tina Turner oder Otis Redding. Dabei ist Courtney Hadwin ganz heutig, und genau aus diesem Grund braucht es auch einen Fundus, der in Qualität und Quantität ausreichend ist, Courtney Hadwin auf Dauer in der Musikgeschichte zu verankern.
Wir wollen hoffen, dass sie uns und der Nachwelt nicht als Mitglied des Club 27 viel zu früh entgleitet.

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Photo: Privatbesitz der Künstlerin