Tagesbuch eines Sturzes
Schon 2013 ist bei Klett-Cotta «Tagebuch eines Sturzes» von Michel Laub erschienen. Michael Kegler hat es aus dem Portugiesischen übersetzt.
Worum geht es? Das Buch schildert, häufig in nummerierten Absätzen, die Entwicklung eines jüdischen Jungen, dessen Leben stark von den Erzählungen über den Holocaust geprägt ist. Drehpunkt der Entwicklungsgeschichte ist ein Moment in der vorwiegend von jüdischen Schülern besuchten Schule. Schüler werfen an seinem Geburtstag einen nicht-jüdischen Schüler in die Luft, fangen ihn immer wieder auf, bis zum letzten Hochschleudern. Der Schüler fällt auf den Boden und bricht sich einen Wirbel. Über Monate liegt er im Streckverband. Dieses Moment von Schuld ist mir beim Lesen eigentümlich gewollt, ja hineingeschustert vorgekommen. Es erschien mir wie der Versuch eine Art Gegengewicht zur Leidvererbung zu sein. Ein Gewicht freilich, dessen Sinn sich nicht erschließt, eine Art von Selbstbezichtigung, deren Sinnhaltigkeit im Erzählstrom stark artifiziell erscheint. Dieser Sturz, der ja auch den Titel gibt, scheint mir keine andere Funktion zu haben, als eben auch den jüdischen Erzähler mit Schuld zu versehen und zu gleich, später im Buch dann, ein Momentum der erneuten Ausgrenzung zu schaffen: Der jüdische Junge wechselt gemeinsam mit dem nun zum vermeintlich zum Freund gewordenen Gestürzten auf eine Schule, bei der die Goi die Mehrheit stellen. Dort aber schiebt der Bericht auch des Sturzes den jüdischen Schüler an den Rand.
Schon fast selbstverständlich ist es, dass auch ein Kampf zwischen Vater und Sohn vorkommt, eine körperliche Auseinandersetzung nachdem der Vater den Jugendlichen schlägt, weil der nichts mehr von der Shoa hören mag und mit harten Worten reagiert. Aber auch hier erscheint das Bild dieser Konfrontation seltsam holzschnittartig. Die Komposition stimmt nicht. Letztlich scheitert Laub am Aufbau des Buches, am zerhackten Erzählstrang und dem drängelnden (kein Schreibfehler) Versuch, eine Normalität des Unnormalen zu schaffen (also sowohl des Antisemitismus‘, als auch der familiären Belastung und Last), die sich ohne diese Dramatisierungen von allein auch ergeben hätte.
Trotzdem macht es Spaß das Buch zu lesen. Ob es der Übersetzer oder schon der portugiesische Urtext ist, der so wortschön daher kommt, kann ich natürlich nicht beurteilen. Aber in seiner Sprache brilliert die Erzählung und mildert dadurch die seltsame Komposition der Geschichte und Beschaffenheit insgesamt so sehr ab, dass ich das Buch gleichwohl empfehlen kann.