Harry Waibel: Erziehung zum Hass. Eine historische Bestandsaufnahme zum Rassismus in der DDR
Rediroma Verlag, Remscheid 2024. 560 Seiten, ISBN 978-3-98885-587-9, 22,95 €
Der von mir sehr geschätzte Historiker Riccardo Altieri schrieb in seiner Rezension zu Harry Waibels früherem Werk Die braune Saat (Schmetterlingsverlag, 2017):
„Dabei sind besonders zwei Thesen auffällig, die das Buch zu einem außergewöhnlichen Beitrag für die DDR-Forschung machen: Zum einen sieht Waibel im noch heute vorhandenen rechten Gedankengut eine Prägung klarster Linearität seit der nationalsozialistischen Staatsideologie, da die SED es versäumt hätte, NS-Gedankengut erfolgreich aus der Gesellschaft zu verbannen. Zum anderen hätte es während der gesamten Zeit der Existenz der DDR ein rechtsradikales Netzwerk zwischen Ost- und Westdeutschland gegeben, dessen Fäden in erster Linie bei den obersten staatlichen Stellen zusammenliefen; allen voran dem Ministerium für Staatssicherheit, aber auch bei westdeutschen Behörden wie dem Militärischen Abschirmdienst (MAD).
Genannt werden diesbezüglich Verstrickungen mit der Wehrsportgruppe Hoffmann (S. 51), den Oktoberfest-Attentätern (S. 53), aber auch der linksterroristischen RAF (S. 79). Ein einendes Element bilde hierbei der Antisemitismus, getarnt als Kritik am Staat Israel, und die Waffenverbrüderung mit palästinensischen Autonomieverbänden oder dem syrischen Militär, so Waibel (S. 82–85). Dabei umschifft der Autor stellenweise geschickt die stark in die Kritik geratene Hufeisentheorie, nach der Links- und Rechtsradikalismus an beiden Enden eines Hufeisens wieder beieinanderstünden (S. 110).
Hieraus resultiert die Annahme, dass sowohl der Antisemitismus der KPdSU (S. 21–26) als auch derjenige der KPD (S. 101–106) gleichermaßen als „braunes Saatgut“ der späteren Judenfeindschaft in der SED-geführten deutschen Republik zu verstehen seien. Während die obersten Funktionäre der NSDAP in vielen Fällen aus dem Verkehr gezogen wurden, bedienten sich Ulbricht und Honecker auf oberer, mittlerer und unterer staatlicher Ebene vermehrt eines Personalstamms, der deutlich vorbelastet war (S. 64).“
(Riccardo Altieri, Rezension zu Harry Waibel: Die braune Saat, in: Deutschland Archiv / bpb.de, 2018.)
Auch ich komme aus der DDR, und ich war ein Beobachtungsfall des MfS. Diese ständige Überwachung ist sicherlich nicht nur meinen friedenspolitischen Aktivitäten in der DDR zuzuordnen, sondern auch meiner antirassistischen Haltung. Ich hatte Freunde, auch aus Afrika. Das war nicht gern gesehen. Und diese offensichtlich gegen alle Grundlagen eines freiheitlichen Sozialismus gerichtete rassistische Grundströmung gab es ebenso in meinem Heimatstädtchen Neustrelitz wie auch in Berlin, der Hauptstadt der DDR, in die ich – der freieren Luft halber – so bald wie möglich überwechselte.
Was für mich persönliches Erleben war, und damit auch wechselhaft und nicht stetig, ergibt in der historischen Betrachtung „Erziehung zum Hass“, die Harry Waibel im Jahr 2024 veröffentlichte, die Anmutung einer stetig gehenden Strömung. Kaum ein Jahr, in dem es nicht zu rassistischen Gewalttaten bis hin zum Mord kam, kein Jahr, in dem die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands nicht die Einheit durch Verschweigen, Unter-den-Teppich-Kehren und Leugnung zu wahren trachtete.
Und das geschah gegen ihren eigenen, sich selbst gegebenen Parteiauftrag. Schon im politischen Programm des sogenannten Vereinigungsparteitages zwischen SPD und KPD in der SBZ (21. und 22. April 1946) hieß es in den Arbeitsaufträgen unter Nummer 8:
„Sicherung der demokratischen Volksrechte. Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Bild und Schrift unter Wahrung der Sicherheit des demokratischen Staates gegenüber reaktionären Anschlägen. Gesinnungs- und Religionsfreiheit. Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied von Rasse und Geschlecht. Gleichberechtigung der Frau im öffentlichen Leben und im Beruf. Staatlicher Schutz der Person. Demokratische Rechts- und Justizform.“
Viel wert war der SED, wie die Partei nach der Zwangsfusion hieß, das nicht.
Es ist ein gar nicht hoch genug einzuschätzendes Verdienst Harry Waibels, mit dem 560 Seiten starken Buch eine Enzyklopädie des institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus in der DDR vorgelegt zu haben. Und zwar – das sei ausdrücklich betont – nicht nur aus historischen, rückschauenden Gründen, sondern aus Gründen der Beurteilung des auch heute alltäglichen Rassismus auf dem Gebiet Deutschlands, auf dem sich die DDR bis zum 3. Oktober 1990 befand.
Vieles von dem, was heute dort stattfindet, auch in der Dimension der Gewalt, entspringt einer in der DDR begonnenen Tradition.
Dabei fällt ein Unterschied zum Rassismus in der ehemaligen BRD auf: Zwar wurde auch dort geleugnet, aber es wurde öffentlich verhandelt. Unter den Teppich gekehrt wurden in der Regel nicht die Taten, sondern – wenn man so sagen will – lediglich die Motive. Und die Gewalttaten „Auge in Auge“ waren, das ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle so, tätergruppenspezifisch: Es waren mehr oder weniger organisierte Neonazis, die Gewalttaten in direkter Konfrontation begingen, und nicht die Leute von „nebenan“, die plötzlich als Mob agierten.
Waibel räumt auf mit dem Mythos der DDR als Staat, in dem internationale Solidarität gelebt wurde. Die Jagden – tödliche Jagden – auf kubanische und mosambikanische Arbeiter sowie andere Vertragsarbeiter zeigen ein Bild der DDR, das näher an der Wirklichkeit ist als jenes, welches Nostalgiker uns schildern. (Belegt durch dokumentierte Fälle rassistischer Übergriffe in Erfurt 1975, Merseburg 1979, Dresden 1980, Hoyerswerda 1991 und anderswo.)
Ich empfehle das Buch sowohl als Grundlage für das Geschichtsstudium und das der Soziologie und der Gebiete, die sich mit Rassismus befassen, ebenso wie für den Unterricht in der Oberstufe.
Bibliografische Angaben:
Harry Waibel: Erziehung zum Hass. Eine historische Bestandsaufnahme zum Rassismus in der DDR.
Rediroma Verlag, Remscheid 2024. 560 Seiten. ISBN 978-3-98885-587-9. Preis: 22,95 €.