Kritik der Gewalt

 

In der englischsprachigen Welt hat das Genre des Sachcomics mittlerweile eine Tradition. In diesem Kontext ist vor allem der Name Rius ein Begriff, dessen Comics über Freud, Marx, Lenin und Mao Anfang der 80er Jahre in deutscher Übersetzung im Rowohlt Verlag erschienen. Seit ein paar Jahren gibt es wieder eine Renaissance der Übersetzungen von Sachcomics in Deutschland – sei es aus dem Englischen oder mittlerweile auch vereinzelt aus dem Französischen. In diesem Kontext steht auch der neueste Sachcomic aus dem Hause Unrast – Kritik der Gewalt. Eine illustrierte Geschichte des radikalen Denkens von Brad Evans (Autor) und Sean Michael Wilson (Autor), welches von unterschiedlichen Zeichner*innen illustriert wurde. Das Vorwort hat Henry A. Giroux verfasst, der auch das Anliegen jenes Comics auf den Punkt bringt – « eine zeitgemässe Kritik der Gewalt (zu formulieren) » (S. 7). Ausgehend von einem real stattgefundenen Interview, welches die Journalistin Natasha Lennard mit Brad Evans für die New York Times führte, wird eine Kritik der Gewalt unter – z.T. sehr verkürzten – Rückgriffen auf unterschiedliche Philosoph*innen, Pädagog*innen, Psychoanalytiker*innen und Politolog*innen dargestellt. Zu ihnen zählen u.a. der eher für seine Gewaltaffinität bekannte algerische Psychoanalytiker Frantz Fanon, Hannah Arendt, Noam Chomsky, der umstrittene italienische Philosoph Giorgio Agamben und die Literaturwissenschaftlerin Susan Sontag. Insgesamt neun von ihnen ist jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet, wo zwar auch andere Persönlichkeiten wie z.B. Walter Benjamin noch am Rande eine Erwähnung finden. Dabei verwundert gerade das Fehlen einzelner Vordenker*innen – sei es der russische Literat Leo Tolstoi, der indische Vorkämpfer Mahatma Gandhi oder auch der für die Einführung der Begriffe « strukturelle Gewalt » und « kulturelle Gewalt » bekannte Friedensforscher Johann Galtung. Generell scheint es Brad Evans insgesamt nicht sonderlich um die Begriffe zu gehen. Die von Hannah Arendt vorgenommene Unterscheidung von « Macht » und « Gewalt », die für eine sozialwissenschaftliche Analyse von Gewaltphänomenen mittlerweile unumgänglich ist, wird gar nicht thematisiert, sondern lediglich ihre Auseinandersetzung mit Eichmann und der « Banalität des Bösen ».

Den Eindruck den der Comic hinterlässt, ist etwas zwiespältig. Die Auswahl der Autor*innen auf die akquiriert wird, ist nicht sonderlich innovativ. Es ist weitgehend der moderne Kanon der linken Szene, wenn es um Gewalt geht – und findet sich auch weitgehend in den üblichen Einführungswerken wieder. Zu dem fehlen wie bereits weiter oben erwähnt wichtige Begriffe und Theoretiker*innen, die zum Verständnis bzw. der Kritik der Gewalt benötigt werden. Andererseits bietet der Comic aber auch einen leichten – ohne in die Seichtigkeit abdriftenden – Zugang zum Verständnis der Philosophie einzelner Ansätze, was es zu einer dennoch guten Einführung in die Thematik macht.

 

Maurice Schuhmann

 

Brad Evans / Sean Michael Wilson: Kritik der Gewalt. Eine illustrierte Geschichte des radikalen Denkens, Unrast Verlag Münster 2017, 134 S., ISBN: 978-3-89771-228-7, Preis: 14,80€.