« Mein Tagebuch soll die Aufzeichnung meiner Liebe sein. Ich möchte darin nur von den Dingen sprechen, die ich liebe, von meiner Zuneigung zu jedem Aspekt der Welt, zu dem, woran ich zu denken mag. (…) Ich fühle mich bloß fruchtbar. Bei mir ist Säzeit. Ich habe lange genug brachgelegen » (TB 2, 303) schrieb Henry David Thoreau (1817-1862) im November 1850 in sein Tagebuch, welches er mutmaßlich unter Einfluss seines Freundes und Lehrers Ralph Waldo Emerson im Alter von 20 Jahren zu schreiben begonnen hatte. Bis zum Lebensende führte er jene weiter, die nun als zwölfbändige Ausgabe beim Matthes & Seitz erscheinen. Die ersten beiden Bände sind bereits erschienen – wie auch die Auswahl « Lob der Wildnis».
Die Tagebücher Thoreaus sind in mehrfacher Hinsicht von großem Interesse. Sie zeigen den nachdenklichen Thoreau, der viel nachdenkt und reflektiert. Einerseits finden sich seine Eindrücke der Natur und seiner Erlebnisse, aber auch die seiner Lektüren (z.B. derjenigen von Ossian), niedergelegt, die zum besseren Verständnis seines Denkens beitragen, andererseits ist auch die Lektüre ein Genuss, weil sich die poetische Ader, die ihn zu einem bedeutenden amerikanischen Literaten des 19. Jahrhunderts macht, auch zum Vorschein kommt. Ein Beispiel hierfür ist die folgende:
« Jeglicher Klang ist mit der Stile nah verwandt; er ist eine Blase auf ihrer Oberfläche, die jäh platzt, ein Symbol der Stärke und Fruchtbarkeit der Unterströmung. Er ist eine schwache Äußerung der Stille und nur dann unserem Gehör angenehm, wenn er sich von ihr abhebt. In dem Masse, wie er das tut und die Stille vertieft und verstärkt, ist er Harmonie und reinste Harmonie. » (TB 2, S. 39f)
Die Tagebücher befördern zwar nichts Unerwartetes oder Überraschendes zu tage, aber sie sind dennoch lesenswert an sich und für das bessere Verständnis der Weltsicht eines Einsiedlers und Ungehorsamen. Das Denken Thoreaus an sich ist nicht sonderlich innovativ. Es spiegelt lediglich das Denken seiner Zeit – vor allem das seines Lehrers – wieder.
Der frisch erschienene zweite Band der Tagebücher enthält neben einem Porträt Thoreaus, einer Karte seines Geburtsortes Concord auch noch editorische Notizen des Übersetzers Rainer G. Schmidt und ein Nachwort von Holger Teschke, dem Herausgeber der Tagebücher. Hervorhebens Wert ist noch die durchaus gelungene Gestaltung jener Thoreau-Edition.
Maurice Schuhmann