Baba Jaga, die schrumplige, garstige, kinderfressende und rundum unangenehme Figur aus osteuropäischen Märchen, ist nicht eben die Oma, von der Jungs und Mädchen träumen. Gewisse Ähnlichkeiten mit unseren Hexen kann man ihr nicht absprechen. Hässlich wie die Nacht ist sie außerdem. Dass sie zu allem Überfluss in einem Gruselhaus auf Hühnerbeinchen wohnt, macht die Sache nur unwesentlich schlimmer. Das ist also Baba Jaga.
Und so würde Baba Jaga vielleicht bis in alle Ewigkeit aussehen, gäb’s nicht Dubravka Ugresic. Die kroatische Autorin und Literaturwissenschaftlerin rollt den Mythos auf, guckt ihn von allen Seiten an, und kehrt Baba Jagas Hexenhaus ziemlich kräftig aus, so dass auch ihre Leser jeden Winkel dieser zweifelhaften Existenz begutachten dürfen. Trotzdem ist eine dröge wissenschaftliche Analyse des Mythos das allerletzte, was man von ihrem Buch erwarten darf. Stattdessen ist „Baba Jaga legt ein Ei“ eine brillante Mischung aus Fiktion, der eine gute Portion eigenes Erleben beigemischt ist, und Studie. Dabei zeichnet die Autorin im ersten Teil das Seelenleben ihrer (fiktiven?) Mutter nach, der das Alter zusetzt, die senil, lethargisch und auch ein wenig ruppig geworden ist und die so menschlich, so nachfühlbar beschrieben wird, dass es beim Lesen schwerfällt, nicht sofort auch Züge der eigenen Großmutter in ihr zu erkennen. Dabei liegen Komik und Tragik, Nähe zwischen den Figuren und Distanz oft eng beieinander. Im zweiten Teil dann wird der Schauplatz von Zagreb nach Tschechien verlegt, in einen Kurort wie aus dem Bilderbuch. Hier schüttelt Ugresic lauter skurrile Figuren aus dem Ärmel, allen voran das Damentrio um Kukla, Beba und Pupa. Im dritten Teil schließlich kommt es doch noch zur literaturwissenschaftlichen Lehrstunde, in der es viel über den Mythos und die Märchenfigur Baba Jaga zu lernen gibt. Aber Dubravka Ugresic wäre nicht Dubravka Ugresic, würde sie das nicht auch noch unterhaltsam und mit aller sprachlichen Finesse tun.
„Baba Jaga legt ein Ei“ ist eine kluge, menschenkennende, mal lustige, mal tragische und immer spannende Lektüre. Mythen sind ja sowieso Dauerbrenner und immer wieder Gegenstand auch populärwissenschaftlicher Sachbücher. So hat zum Beispiel kürzlich der Germanist und Genderforscher Andreas Kraß ein umfang- und kenntnisreiches Buch über den Meerjungfrauen-Topos veröffentlicht. Und doch ist es Ugresics ganz eigene Herangehensweise und ihr sprachlicher Charme – die Tatsache, dass sie eben nicht nur Literaturwissenschaftlerin, sondern auch Autorin ist, spricht für sich –, die dieses Buch so besonders und auch so besonders lesenswert machen. Und weil das sonst so wenig gewürdigt wird, sei zum Schluss noch die wirklich tolle Aufmachung des Buches erwähnt. „Baba Jaga legt ein Ei“ möchte man im Buchregal am liebsten mit dem Cover zuerst präsentieren, und das nicht nur der hübschen Optik wegen.