Das Blau des Himmels

„Schon beim Namen Bataille schreckt die Kritik zurück“ (9) schrieb Marguerite Duras im Jahr 1958 über den französischen Schriftsteller und Soziologen Georges Bataille. Weiterhin bemerkte sie: „Die Leute leben weiterhin in der Illusion, dass sie eines Tages über Bataille sprechen werden können.“ (9).

Mit diesen Annahmen von Duras im Hinterkopf gilt es sich an den 1935 in Spanien verfassten Roman, der sich stilistisch einer solchen Einordnung eigentlich verwehrt, heranzutreten. Bei Duras heißt es hierzu – auf sein eigenes Vorwort akquirierend: „Das Fehlen von Stil in Das Blau des Himmels ist eine Verzückung.“ (9). Der Roman erschien erstmalig 1957 beim Verlag von Jean-Jacques Pauvert, einem mutigen, ehemaligen Lektor des Gallimard-Verlages, der u.a. für die Veröffentlichung „Geschichte der O“ und der ersten de Sade-Gesamtausgabe bekannt ist. Bataille stellt ihm ein Vorwort vorweg, indem er erläutert, warum er diese Erzählung erst 22 Jahre nach seiner Entstehung publiziert – entgegen seiner ursprünglichen Planung: „Heute bin ich weit entfernt von dem Geisteszustand, dem dieses Buch entsprungen ist; da nun das seinerzeit Entscheidende keine Rolle mehr spielt, füge ich mich dem Urteil meiner Freunde.“ (19). Er widmete es seinem Freund und Mitstreiter André Masson, einem Grafiker und Bildhauer, mit dem er gemeinsam am Projekt Acéphal. Gleich mehrere Punkte sprachen für ihn ursprünglich gegen eine Publikation. Der letzte dieser, von ihm aufgezählten Punkte lautete: „Hinzu kam noch die Unzufriedenheit, das Unbehagen, das mir das Buch als solches einflößt.“ (ebd.). Jenes Unbehagen macht es gerade zu dem, was es ist – ein provokantes Werk eines vielschichtigen Autors. Dennoch schreibt der Bataille-Biograph Michel Surya darüber: „Eine klare Antwort gibt er nicht.“ (214). Dies erscheint aber auch nebensächlich.

Bataille schildert eindrucksvoll die Geschichte eines Getriebenen während der Zeit des Faschismus in Europa. Die Flucht führt durch Europa und ist durch die gnadenlose Verausgabung – verursacht durch Alkohol-Exzesse und Bettgeschichten, die eine Reaktion des Protagonisten auf die Erkenntnis von der eigenen Verlorenheit darstellt. „Die Leere blieb. Ein Idiot, der sich betrinkt und weint – ich war dabei, genau das zu werden. Lächerlich. Um dem Gefühl zu entrinnen, der letzte Dreck zu sein, gab es nur ein Heilmittel, ein Glas nach dem anderen in sich hineinzuschütten.“ (65). Dabei entpuppt sich dieser selbst als ein selbstgefälliges Ekel, der seine Umwelt an den Rand des Selbstmordes treibt. Wie häufig bei Bataille fehlt auch hier nicht ein Vermerk auf den göttlichen Sade; diesmal in Form eines Dialog zwischen zwei Protagonisten sowie in einem Hinweis im Vorwort.

Der Roman ist auf Grund des Entstehungshintergrundes auch ein Zeitdokument – und reiht sich in Batailles generellen Auseinandersetzung mit dem Faschismus ein. Bereits Anfang der 30er Jahre hatte sich Bataille soziologisch-psychologisch mit dem Faschismus in seiner Schrift „Die psychologische Struktur des Faschismus“ auseinandergesetzt, später beteiligte er sich am Widerstand in der Gruppe Contre-Attaque (Abteilung „Sade“ – gemeinsam mit André Breton) und versteckte die Manuskripte von Walter Benjamin in der französischen Nationalbibliothek.

Die vorliegende Übersetzung von erschien erstmalig 1967 beim Luchterhand Verlag und wurde schon mehrfach vom Matthes & Seitz veröffentlicht. In der vorliegenden Paperbackausgabe finden sich neben dem Bataille‘schen Text auch eine Kritik Duras‘ aus dem Jahr 1958 sowie ein nicht näher datierter Beitrag von Michel Surya. Dieses Paperback ist für Freund*innen der französischen Literatur eine Freude. Ich kann es nur empfehlen, da Bataille – in seiner Sonderstellung in der französischen Literatur jener Zeit – ein Literat erster Güte ist.

Fast zeitgleich zu dieser Veröffentlichung ist auch beim Merlin Verlag eine Übersetzung von Batailles Studie „Gilles de Rais“ erschienen (s. https://kultur-und-politik.de/blaupause-fuer-blaubart/).

Maurice Schuhmann

Georges Bataille: Das Blau des Himmels, Matthes und Seitz Berlin 2018, ISBN: 978-3957576439, 235 S., Preis: 10 €.