Jutta Schubert, über deren Aufführungen ich bereits zweimal hier berichtet habe, hat in Naumburg ihren Casanova als Einpersonenstück auf die Bühne gebracht. Die Uraufführung des Stücks fand gestern im Naumburger Theater statt.
Die Verdichtung des Lebens dieses großen venezianischen Europäers, der viel zu sehr, allerdings ausdrücklich nicht von Schubert, auf die Amouren reduziert wird, ist ganz wunderbar gelungen. Natürlich handelt es sich um den alten Casanova, der auf Schloß Dux (im heutigen Tschechien) die Bibliothek des Grafen Waldstein leitet. Er hat sich, mittellos, aus dem Staubgemacht, ist samt Kutscher in einem Gasthof gelandet und lamentiert nun zu einem sowohl imaginierten, als auch realen Publikum über sein Leben. Im Zwiegespräch mit sich selbst lässt er Revue passieren, was ihm geschah. Er, die Legende, die auch heute noch, wiewohl ihrer Umfassentheit beraubt, bekannt ist.
Da braucht es einen guten Text, um das in knapp eineinhalb Stunden darzustellen. Und es braucht einen Schauspieler, der diesen Text eben nicht nur aufsagt, sondern spielt, der über die Grenze der Mitteilung hinaus ein Bild vermittelt. Diesen, nicht einfachen, Dienst am Stück leistet Holger Vandrich auf hinreißende Weise. Er ist ganz Casanova, ganz vom Alter, dieser Ratte, angefressen, noch fähig dünkt sich dieser Giacomo zur Liebe, und ist doch ohne jegliche Aussicht. Geschwächt von den Jahren auf der Flucht durch die europäischen Hauptstädte, geschwächt durch das Alter, ein hohes für die damalige Zeit übrigens, lamentiert er ebenso, wie er zurecht schilt, ist voller Selbstmitleid, wie voll von wertvoller Reminiszenz.
Casanova war nie das, für das er gilt. Seine vielen Liebschaften waren keine Eroberungszüge in der Art eines Don Juan, eines Don Giovannis. Der Mann aus Venedig bot, was die Zeit verweigerte, was gesellschaftlich unerwünscht, ja was eine Häresie darstellte: Die Freiheit sich in Lust zu ergehen, ohne nur Objekt der männlichen Lust zu sein. Casanova betrachtete Frauen als ihm ebenbürtig. Und das in einer Welt, in der Frauen als minderwertige Lebenswesen galten, wenn es sich nicht gerade um regierende Monarchinnen handelte. Auch das, ebenso wie sein Charme, mögen ihm nicht nur die Tore geöffnet haben.
Aber er war mehr, als einer, der das sexuelle Abenteuer allein suchte. Er war Doktor beider Rechte (weltliches und kirchliches), schlug eine klerikale Laufbahn ein, aus der sich aber, gottlob, wieder hinausstahl. In die Bleikammern, das Gefängnis in Venedig wurde er 1755 gesperrt. Am frühen Morgen des 26. Juni kamen die Häscher. Die Anklage war kafkaesk. Man warf ihm offenbar „Schmähungen gegen die heilige Religion“ vor. Seine Flucht aus dem Gefängnis ist ein wesentlicher Ankerstein der Legende, die er selbst um sich spann.
Seine Memoiren gehören in den Kanon der Weltliteratur, auch, weil sie profunde Aufschluß über das profane Leben damals geben, und ebenso die höfischen Strukturen beleuchten.
Sein Leben, ein ewiges Auf und Ab auf die Bühne zu bringen und dabei den größtmöglichen Abstand zu Zotigkeit und Amourentheater zu halten – das ist Jutta Schubert grandios gelungen. Und Holger Vandrich, man gestatte mir die Annahme, ist gar kein Schauspieler aus Naumburg, es war Casanova selbst, der da auf der Bühne stand.