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Soheil Boroumand, Holger Vandrich
Foto: Nicky Hellfritzsch

Mit großartiger Spielfreude, mit viel, viel Verve und einem wunderbaren Verständnis für die Fallstricke, die Shakespeare um seine Stücke geschlungen hat, spielt eine kleine, feine Truppe den Hamlet in Naumburg.
Jutta Schubert, die auch die, nicht nur untadelige, sondern ausdrücklich lobenswerte Regie geführt hat, zeichnet verantwortlich für eine Neuübersetzung, die wie auch die Bühnenarbeit zu loben ist. Mit wunderbarem Verständnis für Sprache und Modernität, niemals übertrieben neudeutsch, niemals übertrieben altertümlich, hat sie das Original übertragen. Ganz wunderbar sind ihr dabei die Übernahmen geglückt. Die Übersetzung Jutta Schuberts sei deshalb ausdrücklich auch anderen Bühnen angeraten. Sie enthält sich tagespolitischer Ausdeutungen ebenso, wie einer Lyrik, die nicht schon genuin anzutreffen wäre. Der Text also ist rund und er ist spielbar!
Das Bühnenbild der Aufführung ist zurückhaltend und ich meine das kategorisch als Lob! Gleichwohl lässt es zu, dass der Raum vollständig theatralisch genutzt werden kann. Das Stück wird aufgeführt im Innenhof das Marientors in Naumburg, also in einer historischen Umgebung, die wunderbar mit dem Stück selbst harmoniert. Gerade die Darbietung unter freiem Himmel schafft eine positive Reminiszenz an Shakespeares Zeit. Und umso verwunderter war ich, eine Kritik in der Mitteldeutschen Zeitung zu lesen, in der sich der Ressortleiter Kultur gerade darüber wunderte. Shakespeare konnte nicht wissen, dass in thüringischen Zeitungen Aufführungen ohne Dach nicht goutiert werden würden. Er hätte sonst ein paar Schindeln über den Innenhof des Globe Theaters nageln lassen. In Naumburg also passen Ort und Stück ebenso zusammen, wie die liebevolle und intelligente Übersetzung zum Original.
Dabei haben Schauspieler und Regie damit zu kämpfen, dass das Theater in der schönen Stadt an der Saale unter dem derzeit überall üblichen rigiden Sparkurs im Kulturbereich leidet. Man hat vier Schauspieler zur Verfügung. Und gleichwohl stellt man einen Hamlet auf die Bühne, der sich mit den Aufführungen in den großen Häusern messen kann. Das liegt an der Qualität von Personal, also von Akteuren und Regie, Technik und Bühnenbild, ebenso, wie an der Niveau der Übersetzung, die ebendies möglich macht.
Um Shakespeare aufzuführen braucht es, will man vermeiden Drama oder Komödie zu klamottisieren, Intelligenz und ein Verständnis dessen, was als Subtexte unter jenen Zeilen lagert, die wir alle kennen. Shakespeare verträgt weder Standtheater, noch Overacting. Die Stücke des Mannes aus Stratford upon Avon brauchen ebenso sehr Zurückhaltung, wie theatralisches (im Besten Sinne meine ich das) Spiel. Die Idee Polonius, dem Shakespeare ja diese Zuschreibung im Original an mehreren Stellen mitgibt, als fetten, saturierten, verschlagen-stupiden Narren auf die Bühne zu bringen und nicht als nur tragische Gestalt, also die Üblichkeit der Darstellung fulminant zu durchbrechen, ist eine großartige Regieidee. Jutta Schubert hat Polonius und Claudius in einer Doppelrolle mit Holger Vandrich besetzt. Welch ein glücklicher Griff. Vandrich spielt, dass es eine Freude ist und er schafft es, beide Figuren, die ja so gegensätzlich nun sind (da der Narr, hie der König) vollständig mit dem jeweils eigenen Leben der Figuren zu füllen. Und seine Kolleginnen und sein Kollege tun es ihm gleich. Soheil Boroumand gibt einen wunderbaren, verwundbaren, verirrten, aggressiven und verlorenen Hamlet. Glaubwürdig ist die Figur, die er auf die Bühne stellt, nicht dargestellt ist das, was er uns bietet, sondern gespielt. Das ist großes Theater. Katja Preuß spielt auf gleichem Niveau Ophelia und die Königin. Und Betty Wirtz schuftet sich, wenn man so will, gleich in vier Rollen ab: Sie ist Laertes, Güldenstein und Rosenkranz, sowie der Totengräber. Wie, habe ich mich anfangs gefragt, will Jutta Schubert es hinbekommen, mit vier Schauspielern die Szenen mit den beiden Mordgesellen auf die Bühne zu bringen? Sie meistert es durch einen herausragenden Regieeinfall: Güldenstein und Rosenkranz sind zwei Holzköpfe auf den Armen von Betty Wirtz. Und auch sie, also die Figuren, sind in der Shakespeare’schen  Ambivalenz von Bösem und Verzweifeltem, von Verschlagenheit und Narrentum angelegt. Da passt alles.
Das Stück selbst brauch ich ihnen nicht lang zu erzählen. Sie werden es kennen. Hamlet, der Prinz von Dänemark entdeckt, dass sein Vater, der König ermordet wurde vom eigenen Bruder, der nun König ist und gleich auch Hamlets Mutter die Königin, sozusagen arbeitsplatzerhaltend, geheiratet hat. Alles strebt einem mörderischen Ende zu, denn es handelt sich ja um Shakespeare und man weiß von Shakespeares Dramen: Am Ende sind fast alle tot. Aber in den Dialogen, in den Monologen, da entfernen sich die Stücke des großen Engländers von ihrem kriminalistischen Inhalt. Da geht es um die bedeutsamen Menschheitsfragen, da geht es um Moral und Ethik, um Liebe und Schuld und ganz wesentlich darum, aus Schwarz und Weiß die Farbe Grau zu mischen. Wie kaum ein anderer hat er es geschafft, diese Schuldhaftigkeit in einen geradezu kybernetischen Seinsablauf zu komponieren, der keine Helden kennt. Marlowe mag nahe daran sein, Goethes Faust mag dem nahe kommen oder der Wallenstein. Letztlich aber ist, meiner Meinung nach, die Meisterschaft Shakespeares unerreicht. Gerade deshalb muss auf intelligente, sorgende und analytische Weise mit den Stücken umgegangen werden. In Naumburg ist es gelungen: Glänzend und neue Sichtweisen eröffnend.
Leid tut mir allerdings, dass ich nun erst nach der Wiederaufnahme dort war und Ihnen nicht gleich nach Premiere berichten konnte, dass dort, in der Provinz etwas stattfindet, was nicht nur dorthin gehört, sondern eigentlich, auch der öffentlichen Wahrnehmung halber, auf eine der großen deutschen Bühnen. Sie haben noch bis zum 30. August Zeit, sich das Stück anzusehen. Tun Sie’s.

Anzumerken wäre, wenn ich Jutta Schubert richtig verstanden habe, dass ihre Übersetzung von Hamlet auch in einem Theaterverlag erscheinen wird. Ihre Textarbeit eröffnet den Hamlet nicht neu, denn das wäre unmöglich, erweitert ihn aber um Facetten, die bislang kaum zum Tragen gekommen sind. Der Text Schuberts sei also Theatern herzlich von mir empfohlen.

Das Ensemble: http://www.theater-naumburg.de/ensemble/spieler.html
Das Stück: http://www.theater-naumburg.de/premieren-20122013/hamlet.html
Der Spielplan: http://www.theater-naumburg.de/veranstaltungen.html
Regie Jutta Schubert
Ausstattung Andreas Becker
Fecht-Choreografie Mona Syhre
Mit Katja Preuß, Betty Wirtz, Soheil Boroumand, Holger Vandrich

Dieser Beitrag erscheint zeitgleich in cultureglobe.de.

Foto: Nicky Hellfritzsch