Moral – Die Erfindung von Gut und Böse
Im Jahr 1887 schrieb der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche seine vielbeachtete „Genealogie der Moral“. Die Moral war eines der großen Triggerthemen für den großen Philosophen. Nicht zuletzt wählte er sein Alter-Ego Zarathustra aus der Erkenntnis heraus, dass dieser die Unterscheidung von „gut und böse“ eingeführt hat. Fast 140 Jahre später beschäftigt sich die (Populär-)Philosophie noch immer mit der Frage der Erfindung von jenem für unsere Kultur so zentralem Gegensatzpaar – „gut und böse“. So hat der an der Universität Utrecht lehrende Philosoph Hanno Sauer erst eine knapp 400seitige Monographie zum Thema erstellt, wobei er sich auch immer wieder an Aussagen Nietzsches reibt.
In insgesamt zwölf Kapiteln – beginnend mit in einer Zeit vor ca. 5 000 000 Jahren bis hin zur Gegenwart – erzählt Hanno Sauer eine (mögliche) Geistesgeschichte der Moral – und wie er klar betont – nicht der „Moralphilosophie“. „Unsere Moral hat aber eine Geschichte, und die ist zu vielschichtig und unhandlich für die sterilen Formeln, die wir uns im Lehnstuhl ausdenken.“ (12f.). Der sich hier schon abzeichnende, etwas flapsige Stil des Autors zieht sich durch seine gesamte Genealogie. Er macht das ansonsten – zugegebener Weise manchmal etwas drögen Thema – leichter verdaulich und anknüpfungsfähig für ein breiteres Publikum.
Wie bei allen populärwissenschaftlichen Erörterungen geht dieses Vorgehen auf die Kosten der Genauigkeit und der Komplexität einzelner Ansätze – sowie über das Weglassen von Nebenströmungen innerhalb jener Ideengeschichte. Mehrfach möchte man als Fachkollege intervenieren – trotz des Wissens um die Zielgruppe. Gerade in Bezug auf die Lesart von Nietzsche gäbe es sicherlich an der einen oder anderen Stelle Gesprächsbedarf. Pauschal erklärt er zu dessen Zugang: „Das Hauptproblem an Nietzsches Erzählung vom Ursprung der Moral: Sie ist nicht wahr.“ (17). Das ist aber hier nicht das Thema….
Es geht ihm um die Grundlinien der Entstehung und Entwicklung der Moral – und hier liefert der Autor solide Arbeit. Er benennt wichtige Meilensteine der Entstehung und Entwicklung von Moral und ordnet diese verständlich ein. Er bietet damit eine ganz diskutable Einführung in jenen Themenkomplex an, auch wenn er sich eingangs bereits einer Definition der „Moral“ unter Rückgriff auf Friedrich Nietzsche verweigert. „Wie definiert man sie [die Moral]) Am besten gar nicht, denn ‚definierbar ist nur Das, was keine Geschichte hat.‘“ (12). Seine Beispiele sind bodenständig und verlangen kein abgeschlossenes Philosophiestudium. Wirklich neue Erkenntnisse oder revolutionäre Sichtweisen auf die Moral bietet die Studie nicht. Alles in allem eine solide Einführung für Laien in ein hochkomplexes Thema.
Maurice Schuhmann