Jacques Vingtras – Neuaufgelegt

Ich liebe die, die leiden: das ist ein Grundzug meines Wesens, ich fühle es – und trotz meiner Rohheit und meiner Faulheit erinnere ich mich, denke ich, arbeitet mein Kopf. Ich lese über das Elend.“ (S. 53) erklärt Jacques Vingtras, das Alterego von Jules Vallès. Vallès selber hat sich damit indirekt auch ein Denkmal gesetzt, so schrieb er selber über jene Leidende – in Figur seines Jacques Vingtras.

In Frankreichs Schulen gehört die Lektüre von Jules Vallès‘ autobiographisch-geprägter Trilogie „Jacques Vingtras“ (1878-1885; der dritte Band blieb unvollendet) zum guten Ton. Das Werk des französischen Autors, Bohemiens und Kommunarden gilt als ein wichtiges Kulturgut. Zu recht. Sein unvollendet gebliebener dritter Teil jener Trilogie ist eines der wichtigsten literarischen Erzeugnisse über die Zeit der Pariser Commune. Um so schöner ist es, dass der März-Verlag eine Neuauflage jenes fulminanten, aber leider unvollendet gebliebenen Werkes herausgibt. Bislang sind die ersten beiden Bände – „Das Kind“ und „Die Bildung“ – erschienen. Im zweiten Band („Die Bildung“), den ich hier exemplarisch bespreche, setzte der Proudhonist Vallès (1832-1885) ähnlich wie in seiner (nicht mehr erhältlichen) Sammlung „Die Abtrünnigen“ dem Leben der französischen Bohemiens ein literarisches Denkmal. Dies beginnt mit der Widmung – „Denen, die, mit Griechisch und Latein genährt, Hungers gestorben sind, widme ich dieses Buch.“ – und durchzieht den ganzen Roman. Vingtras schlägt sich mehr schlecht als recht durch Paris, „wo aber jeder Schmerz seinen Trost findet und jede Leidenschaft ihr Echo!“ (S. 136). Er besucht das Collège de France, liest die proudhonistische Voix du Peuple und fiebert für die Revolution. Es ist das bohemehafte Leben eines Studenten im Paris des 19. Jahrhunderts. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre – gerade für prekarisierte Akademiker_innen, die sich sicherlich hier und da wiedererkennen!

Maurice Schuhmann

Jules Vallès: Jacques Vingtras. Band 2: Die Bildung, März Verlag Berlin 2022, 380 S.; Preis: 26 €; ISBN: 978-3755000105.