pilznarrNatürlich ist der Titel doppeldeutig. Muss er doch! Es geht um Peter Handke. Und da kommt man ohne Mehrdeutigkeiten gar nicht aus. Man würde ihm Unrecht tun. Selbstverständlich meine ich nicht jene Mehrdeutigkeit, die sich aus einer wabernden Ambivalenz ergibt, also nicht das sozialdemoratische Jein und das unentschlossene Vielleicht. Ich meine die Mehrdeutigkeit, die sich aus der Mehrschichtigkeit ergibt, daraus, dass es dialektische Bezüge gibt. Im Leben und auch im aufgeschriebenen Leben, in der Literatur.
Handke versucht uns. In jedem seiner Bücher serviert er komplizierte Speisen, Satzungetüme, gesalzen, manchmal scharf gewürzt. Man muss tranchieren, was auf den Tisch kommt. Aber dann schmeckt es besser, als das geistige Fastfood, das schon immer viel häufiger serviert wurde, als die Haute Cusine der Literatur. Die Vermutung, es sei alles viel schlimmer, als früher, stimmt nicht. Hedwig Courths-Mahler war erfolgreicher als Oskar Maria Graf. Da muss man sich nichts vormachen. Und selbst Goethe, der alte Geheimrat, erreicht zu Lebzeiten nicht die Aufführungszahlen eines August von Kotzebue. Trivialliteratur hat es immer leichter, als die sogenannte Hochliteratur. Unter Schriftstellern kursiert nicht zu Unrecht der Satz „Der veröffentlicht bei Suhrkamp. Er schreibt mit Halbsätzen.“
Der befreundete Schriftsteller Peter H. Gogolin erzählte mir anlässlich eines Besuches in unserer kleinen schönen Stadt, er hätte oft Probleme Werke von Handke im Buchhandel zu finden. Sie würden nicht oft in den Regalen stehen. Da stünden nun die nach Gewicht und hoher Seitenzahl geschriebenen Mittelalterromane, Vampirgeschichten und machten sich breit.
Das ist bedauerlich. Aber eben auch nicht neu. Aufgeblasen wie Luftballons hat man Bücher schon immer. Zu verdichten, ohne dass Wesentliches verlustig geht, ist nicht einfach. Und ein Buch von 160 Seiten, so gut es auch sein möge, zu 16,90 Euro verkauft sich schlechter, als ein jämmerlicher Roman zum gleichen Preis, wenn der 600 Seiten hat.
Handke also gehört zu denen, deren Bücher sich nicht dazu eignen, die Zeit totzuschlagen. Er will sie vielmehr nutzen, d.h. der Leser soll die Zeit nutzen, nämlich dazu, nicht nur die Wörter zu lesen, die Handke ihm aufgeschrieben hat, sondern einen inneren Prozess zu durchlaufen. Das hat diese Art Literatur als Wesensmerkmal. Handke, Brecht, Hacks, Seghers, Borchert, Heine, meine Bücher vielleicht auch. Sie sollen das gar nicht. Das ist nicht der Grund des Schreibens. Nein, sie tun es von sich aus. Aber dazu muss man in der Lage sein, auch so zu schreiben, dass die Wirkung erzielt werden kann. Handke kann das. Es ist Arbeit, ihn zu lesen. Eine gute Arbeit.
Unlängst ist bei Suhrkamp von Handke in der Reihe seiner Versuche die Geschichte „Versuch über den Pilznarren“ erschienen. Handkes Versuche sind Experimente in Laboratorium der Sprache und der Inhaltspräsentation. Sie sind nie nur Formexperimente. Form und Inhalt gehören hier zusammen, untrennbar verwebt. Das Buch, um den Inhalt in grobschlächtig zu beschreiben, dreht sich um ein Wiederfinden, um Erinnerung an Jugend und Traum. Auf mehreren Ebenen wird erzählt, so dass das Erzählte manchmal wirkt, wie zerrissene Wolken unterm blauen Himmel. Die Helden, oder sollte man besser vom Fokussierungspunkt reden?, des Buches sind die Pilze, die für den Suchenden Abenteuer an sich sind.
Das Große an diesem Buch aber ist die Sprache, die große Sprache Handkes, der sich zu denen gehört, die den Duktus deutschsprachiger Literatur ganz wunderbar bereichert haben.
Es gab einige, aber zu wenige, Besprechungen über das Buch und sie alle leiden, wie auch diese hier, darunter, dass es so schwer ist, über Sprache zu schreiben, wenn der Inhalt eben keine Geschichte ist, die sich leicht und sehr verkürzt wiedergeben lässt.
Dabei ist die Sprache wichtig. Nicht wichtiger als der Inhalt. Aber wichtig. Denn sie ist ja das Transportmittel. Sie erzeugt in „Film im Kopf“ beim Lesen, sie bestimmt den Drive einer Geschichte, sie schafft die Gefühle, sie ist die Schöpfungskraft der Literatur.
Peter Handke ist, wie fast alle großen Schriftsteller, ein politischer Mensch. Vielleicht würde er das bestreiten, ich weiß es nicht. Viele große Schriftsteller bestreiten es, sind es aber gleichwohl. Er hat sich für Serbien eingesetzt. Das hat ihn den Heine-Heinrich-Preis der Stadt Düsseldorf gekostet, der ihm schon zugesprochen worden war. Als die Jury des Deutschen Buchpreises sein Buch „Die morawische Nacht“ auf die Liste der zwanzig besten Bücher des Jahres 2008 setzte, bedankte er sich in einem Brief dafür, bat aber darum, sein Buch wieder von der Liste zu streichen. Er wollte Platz machen für einen jüngeren Schriftsteller.
Um Handke also kommt man nicht herum. Und ich würde mich freuen, wenn die, die ihn nicht kennen, sich auf machen würden zur nächstgelegenen Buchhandlung oder an neue Impulse schrieben. Ich empfehle die folgenden drei Bücher zu erwerben: „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, „Die morawische Nacht“ und natürlich „Versuch über den Pilznarren“.

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