Himmlers holländische Muse
Über die Baroness Julia Op ten Noort (1910-1994), „Himmlers holländische Muse“ (van Duyn), gibt es bislang nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag. Dabei war jene Dame einer der einflussreichsten Nationalsozialistinnen Europas, mit der Heinrich Himmler vielleicht sogar ein uneheliches Kind hatte. So lautete zumindest eine These der niederländischen Polizei und die Namensgebung ihres Sohnes – „Heinrich“ – spricht auch dafür. Laut eines Briefes von 1944 von ihr stand dieser neben Heinrich I. Pate bei der Namensgebung.
Diese bislang wenig beleuchtete Figur des Nationalsozialismus, die relativ unbehelligt nach 1945 in Deutschland lebte, steht im Mittelpunkt der erstmals im Jahr 2018 auf niederländisch erschienen Studie des ehemaligen Provo-Aktivisten Roel van Duyn. Er nähert sich reportagenartig der Biographie jener Dame, die von einer radikalen Evangelistin, als Anhängerin der Oxford-Gruppe, über die Zwischenstation als überzeugte Nationalsozialistin, die sich ganz und gar den Ideen der (pervertierten) Eugenik, hin zur Esoterikerin und Anängerin der Lehre der Bhagwan-Bewegung entwickelte.
Vorweg erklärt der ehemalige Provo: „Ich machte mich also an die Arbeit mit der zunächst ungewohnten Zielsetzung, mich in die Innenwelt einer Nationalsozialistin zu versetzen, sowohl um ihre Beweggründe verstehen als auch um aktuelles diskrimminierendes Denken besser bekämpfen zu können“ (8). Damit stellt er die Verbindungslinie von der Vergangenheit in die Gegenwart her und postuliert gleichzeitig die Aktualität ihrer Person. Selbstkritisch bemerkt er ebenso im Vorwort, dass er in manchen Verhaltensmustern, nämlich dem Streben nach einer idealen Utopie, eigene Verhaltensweise von sich selbst wiedererkennt.
Vorweg bemerkt er bereits über jene Baroness: „Als junge Frau verband sie sich mit Haut und Haaren mit zwei unerhöhten Projekten der Nazis: der Vernichtung der einen und der Erschaffung einer neuen, vermeintlich überlegenen Menschenrasse. Sie gehörte nicht nur zum erlesensten Kreis derjenigen, die die SS-Ideologie bewußt verbreiteten, sondern setzte ‚auf dem Schlachtfeld der Frau‘ auch ihren eigenen Körper ein, indem sie in einer geheimen Klinik einen Spross dieser ‚Superrasse‘ gebar: einen Sohn für den Führer.“ (7) Sie war eine der führenden Protagonistinnen 1938 beim Aufbau einer nationalsozialistischen Frauenorganisation in den Niederlande – NSVO – und die geheime Klinik war ein Teil des Lebensbornprojekts.
Aus einer niederländischen Adelsfamilie stammend kommt Julia Op ten Noort Anfang der 30er Jahre in Kontakt zur Oxford-Gruppe, einer religiösen Gruppe rund um den Prediger Frank Buchmann. Dieser liebäugelte mit dem Faschismus und Nationalsozialismus, in denen er ein zeitweiliges Bollweg gegen den Antichrist des Kommunismus sah, und erhielt dennoch im Jahr 1952 das große Bundesverdienstkreuz der BRD. Unter seiner Obhut entwickelt sie sich schnell zu einer der aktivisten Key figures und steigt bereits 1931 in die Spitze des internationalen Teams der Oxfordgruppe auf. Ab 1934 läßt sich ein Interesse von Heinrich Himmler an jener Strömung nachweisen – u.a. wegen ihrer guten Kontakte zu internationalen Politikern. Op ten Noorts Nähe zum Nationalsozialismus führt auch letztendlich zum Bruch mit Buchmann bzw. einer Rückstellung innerhalb der Organisation.
Der Weg zum Nationalsozialismus wird vielleicht auch durch das Elternhaus mitgeprägt. Beide Elternteile treten 1932 in den niederländischen Ableger der NSDAP – NSB – ein; ihr Bruder ein Jahr darauf. Ab 1933 waren auf Housepartysder Familie auch immer wieder Nationalsozialisten anwesend, über die sie selber sich mit dem nationalistischen Denken infiziert haben könnte. Nach eigenen Angaben war es aber erst 1934, als sie u.a. auch Heinrich Himmler und führende Personen der SS persönlich kennenlernte. Sie selber tritt erst im Juli 1937 in die NSB ein. Nach dem Krieg hält sie es nicht in den Niederlanden aus, sondern kehrt nach Deutschland zurück, wo sie noch mit alten Kamarad*innen Kontakte pflegt. Später wendet sie sich der Esoterik zu.
Im Epilog diskutiert van Duyn unterschiedliche Erklärungsansätze für die Entwicklung von ihr – z.B. „Das Amouröse des Bösen“ oder „Männer“. Hinter den Überschriften verbürgen sich interessante Gedanken von van Duyn. Er hat insgesamt eine sensible und gut lesbare Biographie jener Nationalsozialistin verfasst, die sowohl auf Gesprächen mit Zeitzeug*innen und Archivalien beruht. Stilistisch ist sie reportagenartig verfasst und unterscheidet sich deshalb ein Stück weit von klassischen Biographien, was auch zu ihrer Lesbarkeit beiträgt. Er schliesst mit seiner Biographie eine eklatante Forschungslücke und bietet auch wichtige Arbeit in Bezug auf das Innenleben von nationalsozialistischen Aktivist*innen
Maurice Schuhmann
Roel van Duyn: Himmlers holländische Muse. Die zwei Leben der Baroness Julia Op ten Noort, Schmetterling Verlag Stuttgart 2020, 340 S., ISBN: 978-3896571793, Preis: 22,80 €.