„Von der Erotik ist es möglich zu sagen, dass sie die Bejahung des Lebens bis in den Tod ist.“ schreibt Georges Bataille (1897-1962) einleitend im 1957 erstmalig bei Edition Minuit erschienenen Essay „Die Erotik“. Der Soziologe und Erotikautor Bataille versucht nicht weniger, als sich anthropologisch, soziologisch und ökonomisch der Thematik der Erotik zu nähern. Er geht davon aus, dass man sich der Erotik nicht wissenschaftlich nähern kann, weil Wissenschaft in ihrer disziplinären Fokussierung immer nur einen spezifischen Blickwinkel hat. Erotik sei hingegen immer nur in voller Gänze zu erkennen. Den Aufbau seines Essays beschreibt Bataille selber wie folgt: „Ich werde nacheinander von diesen drei Formen sprechen, nämlich von der Erotik der Körper, von der Erotik der Herzen und schliesslich von der sakralen Erotik.“ Dabei ist die Verbindung von Sexualität und Tod ein wichtiger Bestandteil seiner Untersuchung. „Die Erotik öffnet für den Tod. Der Tod öffnet für die Negation der individuellen Fortdauer.“ An späterer Stelle heißt es dann: „Der letzte Sinn der Erotik ist der Tod.“ Bezüglich der Verbindung von Sexualität und Tod zeigt sich wieder einmal die Bedeutung der Freud-Lektüre von Bataille. Er hatte als junger Mann begonnen, Freud zu lesen, und bezeichnete ihn auch später als eine der wichtigsten Ressourcen für sein eigenes Denken – vor allem auf den Text „Totem und Tabu“ – finden sich in seinem Werk – nicht nur diesem – immer wieder Verweise. Ebenso beschäftigt ihn das Verhältnis von Sexualität und Gewalt. Es zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Ein weiterer interessanter Aspekt ist der stetige Rückgriff auf das Mensch-Tier-Verhältnis. Dies wurde u.a. von Giorgio Agamben in seiner Studie „Das Offene“ thematisiert.

Neben dem eigentlichen Essay „Die Erotik“ an sich sind auch weitere, kürzere Texte von Bataille – wie z.B. ein Vortrag zum Thema („Erotik und die Faszination des Todes) mit anschliessender Diskussion abgedruckt und sein Vorwort zu „Madame Edwarda“ – im zweiten Teil des Werkes. Mehrere davon beziehen sich explizit auf den Marquis de Sade („Der souveräne Mensch Sades“, „Sade und der normale Mensch“), als dessen größten Adepten im Umfeld der Surrealisten ihn André Breton einst bezeichnete. Seine diesbezüglichen Arbeiten sind auch für die moderne Sade-Forschung von großer Bedeutung.

Eine Beachtung verdienen auch die von Bataille gewählten Illustrationen. Es handelt sich u.a. um ethnologische Aufnahmen – z.B. von Voodoo-Ritualen –, Griens „Der Tod umarmt eine nackte Frau vor einem offenen Grab“ und eingangs um eine, bis dato unveröffentlichte Zeichnung von André Masson zu Sades Novelle „Justine“.

Der Essay ist dem Surrealisten Michel Leiris gewidmet. Das Nachwort hat der Philosoph und Bataille-Forscher Michel Surya wie auch z.B. bei seinem Roman „Das Blau des Himmels“ beigesteuert. Er gehört zu den besten Kennern des Bataille‘schen Werkes und ist Gründer der Zeitschrift „Lignes“.

Im selben Jahr, in dem auch „Die Erotik publiziert wurde, erschien noch Batailles Aufsatzsammlung „Die Literatur und das Böse“ (Matthes & Seitz) bei Gallimard, in der sich u.a. brilliante Aufsätze über Sade und Jean Genet finden. Ursprünglich plante Bataille eine eigene Aufsatzsammlung zu Marquis de Sade. Da aus diesem Projekt nichts wurde, sind seine Aufsätze verstreut erschienen.

Der hier vorliegende Essay ist zweifelslos einer der wichtigsten modernen Texte über Erotik. Neben jenem Essay gibt es u.a. von Bataille noch eine gemeinsam mit dem Kunstkritiker Lo Duca verfasste Schrift über die „Tränen des Eros“ (Matthes & Seitz) sowie eine Anzahl erotischer Kurzgeschichten und Novellen, die partiell in „Das obszöne Werk“ (Rowohlt Verlag) in deutscher Sprache publiziert wurden.

Der Essay ist nach wie vor für jede/n Pflichtlektüre, der / die Erotik reflektieren möchte oder sich mit dem weiten Feld der menschlichen Sexualität beschäftigen möchte.

Maurice Schuhmann

Georges Bataille: Die Erotik, Matthes & Seitz Berlin 2020, ISBN: 978-3957579102, 475 S., Preis: 16 Euro.