Untersuchung über die SA

Die Sturmabteilung (SA) der NSDAP ist ein, für das Verständnis des Nationalsozialismus grundlegendes Thema. Dennoch ist sie – wie es der Historiker Daniel Siemens, der u.a. eine vielbeachtete Biographie zu Horst Wessel verfasst hat, redundant anmerkt (z.B. S. 23) – bislang verhältnismäßig schlecht untersucht. Im Gegensatz dazu ist die Sturmstaffel (SS), als elitärer Kontrapart im NS-Regime relativ gut erforscht (u.a. durch Eugen Kogons Studie „Der SS-Staat“ oder Wegners „Hitlers Politische Soldaten“). Es klaffen noch viele Lücken, von denen er in seiner umfangreichen Studie über den Aufstieg und Fall der SA kaum eine davon wirklich schliesst. Ein blinder Fleck ist z.B. die ideengeschichtliche Facette der SA – als sozialrevolutionären Flügel innerhalb der NSDAP, die er nur kurz anreisst.

Seine 2017 erstmals im englischsprachigen Raum erschienene Studie wurde nun ins Deutsche übersetzt. Im Vorwort erklärt er zur Relevanz seiner Studie, dass sie exemplarisch die Sprengkraft einer Politik der Straße haben kann, zeigt, die Gefahr von politischen Bubbleblasen aufzeigt und die ungewöhnlich starke Loyalität gewisser Schichten, wenn sie sich von der Elite repräsentiert fühlen, verdeutlicht. (vgl. S. 7f.). Es folgen zehn Kapitel in vier Teilen, in denen er den Aufstieg, den Fall und auch das Erbe der SA nach 1945. Gerade letzteres fällt etwas dürftig aus. Die Geschichte der SA beginnt bereits im Jahr 1919 – kurz nach dem 1. Weltkrieg, obwohl der offizielle Gründungsaufruf erst 1921 erfolgte. Die zeitweilig – z.B. in der Zeit des Hitlerputsches – sehr einflussreiche Truppe, die eine wichtige Rolle beim Prozess der Machtergreifung und Implementierung des Nationalsozialismus hatte, verlor spätestens beim sog. Röhm-Putsch 1934 ihren Einfluss – und dümpelte danach fast in der absoluten Bedeutungslosigkeit. Dabei geht er u.a. auch auf den Mythos des schwulen SA-Mannes ein, thematisiert das Thema Frauen und SA sowie die zeitweilige Fokussierung auf die Siedlungsbewegung. Das Erbe der SA in der BRD fällt hingegen etwas kurz aus; eine Auseinandersetzung mit der Auseinandersetzung in der DDR fehlt gänzlich. Als Referenzen greift er nicht nur auf wissenschaftliche Texte sondern auch häufiger auf literarische zurück – z.B. Hans Fallada, Erich Kästner oder Stefan Zweig.Vereinzelt wird das Buch mit zeitgenössischen Fotos illustriert.

Für viele gewaltaffine Neonazis – vor allem die Boneheads – ist die SA immer noch eine wichtige Referenz und auch der bekannte Neonazi SS-Siggi (Partei Die Rechte) hat gegenüber Reportern geäußert, dass er lieber SA-Siggi heissen würde, weil er sich mit dieser mehr identifiziere. Auf solche Aspekte akquiriert der Autor in seinem Vorwort – und vielleicht hat er leider damit wirklich recht. Die Studie von Siemens bietet trotz kleiner Schwächen einen guten Einstieg in die Thematik und zeigt den Forschungsstand zu jenem nationalsozialistischen Wehrverband auf.

Maurice Schuhmann

Daniel Siemens: Sturmabteilung. Die Geschichte der SA, Siedler Verlag München 2019, 592 S., ISBN: 978-3827500519, Preis: 36 €.