In seiner aktuellen Puphilosophische_lebenskunstblikation „Vom Ich zum Wir“ widmet sich der Philosoph Lutz von Werder sein Konzept eines „neuen Existenzialismus“ weiterdenkend einer (existenzialphilosophischen) „Ich-Analyse“. Er definiert die Ich-Analyse anhand von folgenden fünf Grundannahmen:

– Das Ich ist die Einheit des Einzellebens, die Identität.
– Das Ich hat Selbstbewusstsein.
– Das Ich ist nicht nur Objekt, es ist auch Selbstbewahrung, Selbstachtung und Selbsterziehung.
– Das Ich ist Produkt der Sozialisation durch Familie, Schule, Arbeit und Staat.
– Das Ich wird aber nicht nur von der Gesellschaft geprägt, es prägt auch die Gesellschaft. (12f).

Der „Ich-Analyse“ folgt eine „Ich-Therapie“, die in einer Wir-Synthese mündet. Er folgt dabei seinem Text „Existenzialismus jetzt!“ (vgl. die Rezension hierzu: http://literaturglobe.de/lutz-von-werder-existenzialismus-jetzt-eine-philosophie-der-hoffnung/). Wie auch in vorherigen Publikationen boten ihm die Diskussionen in seinem philosophischen Café eine Inspirationsquelle. „Im Laufe der 18-jährigen Geschichte der Berliner Philosophischen Cafés im Literaturhaus und in der Urania zeigte sich bei allen Versuchen des Philosophierens: Es kommt auf das Ich an“ (9). Ausgangsbasis bildet die von ihm vertretene These: „Mit der Entstehung des Kapitalismus wird das Verhältnis von Ich und Gesellschaft zum Problem“ (17).

Seiner These Rechnung tragend präsentiert er auf knapp 220 Seiten eine Geistesgeschichte des „Ichs“. Jene Geistesgeschichte beinhaltet sowohl philosophische (u.a. Descartes, Kant, Schopenhauer), psychoanalytische (u.a. Freud, Adler, Jung), literarische (u.a. Kierkegaard, Pessoa) und biologische (Gehirnforschung) Zugänge zum „Ich“. Didaktisch geschickt leitet er von der Analyse des Ichs zu Denkern über, die das „Ich“ im Kontext des „Wirs“ thematisieren wie z.B. der jüdische Philosoph Martin Buber oder die „Multitude“-Theorie von Michael Hardt und Antonio Negri. Die Vielfalt der Denker und Ansätze, die er in diesem Kontext vorstellt, sind beachtlich. Lutz von Werder versteht es, sich leichtfüssig zwischen den Genres zu bewegen und sich nicht nur auf eine Disziplin zu beschränken.

Die Darstellung der einzelnen Ansätze ist passagenweise fehlerhaft bzw. nicht auf dem Stand der aktuellen Forschung. Dies zeigt sich z.B. in der These, dass Friedrich Nietzsches Übermensch „das zukünftige Produkt der Evolution nach Charles Darwin (sei)“ (72) oder dass Stirner die „Meierei Bolle“ gegründet habe (vgl. 47).

Jeder einzelne Abschnitt beinhaltet Übungsfragen für den Leser, die es ihm ermöglichen sollen, selber eine Ich-Analyse durchzuführen.

Der zweite Teil des Buchs ist eine beispielhafte Anwendung dieser Methode eines Teilnehmers des philosophischen Cafés, dem bereits im Vorgängertext zitierte Lehrer O, in Tagebuch-artiger Form. Im dritten Teil findet sich noch eine knappe Anleitung für den Gebrauch dessen.

Der Versuch, Philosophie aus dem Elfenbeinturm herauszuholen und in der Praxis des Alltagslebens zu erproben, ist ein fraglos unterstützenswertes Vorhaben. Lutz von Werder versteht es auch Philosophisch dem Laien verständlich zu vermitteln, was sich an der langjährigen Existenz und des Interesses an seinen philosophischen Cafés zeigt. Gleichzeitig leidet sein Werk – wie viele populärwissenschaftliche Texte an Vereinfachungen, die aus der Sicht von Fachphilosophen Gedankengänge verfälschen.

Maurice Schuhmann

Lutz von Werder: Vom Ich zum Wir, Schibri Verlag Berlin 2013, ISBN: 978-3-86863-113-5, 319 S., Preis: 15 Euro.