Zur Situation im PEN-Zentrum Deutschland
Abstract: Die Mitgliederversammlung des PEN-Zentrums Deutschland in Gotha hat in den Medien enorme Aufmerksamkeit gefunden. Dabei ging es häufiger um Vorurteile, Falschmeldungen und oberflächliche Darstellungen statt um Tatsachen, Ursachenforschung und profunde Kenntnis der Vorgeschichte der dortigen Auseinandersetzung. Im Beitrag soll dieses Defizit behoben werden.
Die Mitgliederversammlung des PEN- Zentrums Deutschland hat der ältesten NGO-Vereinigung im Lande eine Aufmerksamkeit von nie dagewesener Größe beschert. Das ist, auf den ersten Blick, eine gute Nachricht, beklagte man doch in der Vergangenheit gemeinhin den PEN als eine eher schläfrige und in die Jahre gekommene Organisation. Auf den zweiten Blick freilich wendet sich das Urteil: Die Berichterstattung in den digitalen wie Printmedien war, von geringfügigen Ausnahmen abgesehen, vollkommen einseitig. Tenor: Ein vergleichsweise junger und dynamischer Präsident, erst vor acht Monaten in das Amt gewählt, sei von einer Horde alter weißer Männer und Frauen gestürzt worden, denen es um nichts anderes denn um Machterhalt, Selbstbeweihräucherung und Traditionspflege gehe. Eine, zumal von jüngeren Mitgliedern, gewollte Erneuerung und Umstrukturierung habe deshalb nicht stattfinden können. Deniz Yücel, der vor Kraft und Energie strotzende Neuerer, sei mitsamt seinen engsten Mitstreitern das beklagenswerte Opfer.
Die Mitgliederversammlung in Gotha verwandelte sich unter den Gegensätzen und Anschuldigungen beider Seiten in einen Hexenkessel. Sieger in der Schlacht gab es nicht; beide Lager gehören zu den Verlierern. Das PEN-Zentrum Deutschland hat schweren Schaden genommen.
Wie konnte es dazu kommen?
Auf der zurückliegenden Mitgliederversammlung im Oktober 2021 in der Frankfurter Paulskirche wurde der Journalist Deniz Yücel mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt: von alten und jungen Mitgliedern. Er erschien Vielen als Hoffnungsfigur, zumal nach seiner Inhaftierung im Terrorstaat Türkei. Der Mitleidseffekt spielte bei der Wahl eine erhebliche Rolle; die Querelen, die Yücel in der Redaktion der taz hatte, wurden übersehen oder waren den Schriftstellern in Frankfurt nicht bekannt.
Unmittelbar nach der Wahl freilich begannen die Auseinandersetzungen: Statt der Ankündigung Yücels, eine „NGO modernen Zuschnitts“ zu formen-eine inhaltliche Klärung, was das bedeute, liegt bis heute nicht vor- wurden Mitarbeiterinnen der PEN-Geschäftsstelle per e-mail oder Telefonanrufen gemahnt, beschimpft, als inkompetent bezeichnet oder in ihrer Arbeit behindert. Sexistischer Sprachgebrauch war an der Tagesordnung: Insgesamt war ein eher feudalherrenhaftes Benehmen des Präsidenten, des Schatzmeisters Helfer, des Vizepräsidenten Nestmeyer und weiterer Präsidiumsmitglieder zu konstatieren!
Ähnlich geschah es im Präsidium selbst: Zwei gewählte Mitglieder traten alsbald aus dem Gremium aus, weil sie sich der Aufforderung widersetzten, in Stasi-Manier belastendes Material gegen nicht „folgsame“ Mitglieder zu sammeln; die Vizepräsidentin Vehstedt- verantwortlich für das wichtige „Writers-in-exile-Programm“, das verfolgte und gefolterte Schriftsteller, die nach Deutschland flüchten konnten, betreut- widersetzte sich dem rechtswidrigen Bestreben Yücels, die für das Programm vorgesehenen Drittmittel des Bundes in die Vereinskasse zu überführen, und wurde dafür obszön beleidigt, der langjährige Justiziar Uebe aus dem gleichen Grunde gefeuert. Das „Rumpfpräsidium“- anfangs aus elf Mitgliedern bestehend, schrumpfte auf fünf zusammen. Gleichwohl gefiel es Yücel samt Helfershelfern, zwei kritischen PEN-Mitgliedern per Anwaltsschreiben einen Maulkorb umzuhängen- und dies in einer Organisation, die die „Freiheit des Wortes“ als oberstes Ziel im Wappen trägt!
Die Kolleginnen und Kollegen im Büro standen unter wachsendem Druck; Mitarbeiterinnen erkrankten und mussten psychologisch betreut werden: „Das Verhältnis zwischen uns und denen ist nicht zerrüttet, es ist total zerstört“, so hörte man aus Darmstadt. Die Situation war zunehmend aufgeheizt.
Aufgaben und Pflichten des Präsidiums
Vorstand oder Präsidium eines Vereins haben generell vor allem zwei Aufgaben: zum einen die Organisation nach außen wirkungsvoll zu vertreten und, zum zweiten, den Verein intern zusammenzuhalten, auftretende Spannungen zu lösen und Brücken der Verständigung zwischen etwaigen Flügeln zu bauen. Die erste Aufgabe hat der Präsident vehement wahrgenommen, freilich in egoistischer Manier: so in seiner Forderung nach einer Flugverbotszone über der Ukraine. Er verwechselte dabei freilich seine private Meinung mit der Überzeugung zahlreicher Mitglieder, die in einer solchen Forderung die Gefahr eine Dritten Weltkrieges sahen. Yücel focht das mitnichten an, weil er der tiefen Überzeugung ist, dass seine Meinung die der gesamten Organisation sei: „L´Etat-c´est moi“. Sonnenkönig Ludwig XIV. lässt grüßen!
Nach innen befriedete Yücel samt Helfershelfern keineswegs, sondern polemisierte, denunzierte und diffamierte „missliebige“ Mitglieder, die das freie Wort gebrauchten und, gelegentlich, scharfe Kritik am Vorstand äußerten. Im Grunde hatte Yücel den listigen Dialektiker Bertolt Brecht missverstanden, der nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 dem Sekretär des DDR-Schriftstellerverbandes auf dessen Forderung, das Volk müsse nunmehr durch gesteigerte Arbeitsleistung das Vertrauen der Regierung zurückgewinnen, antwortete: „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“
Aufgaben des PEN in der Zukunft
Dem dionysischen Rausch von Gotha wird, wie stets im Leben, der Kater und, hoffentlich, die apollinische Klarheit folgen. Ein Interimspräsidium wurde noch auf der Mitgliederversammlung gewählt und wird die nächste außerordentliche Versammlung samt Neuwahl vorbereiten. Dort wird vor allem inhaltlich festgelegt werden, welche die wichtigsten Aufgaben des PEN Deutschland sind. Dazu gehören die beiden Programme „Writers-in-exile“ und „Writers-in-prison“. Letzteres betrifft die Unterstützung inhaftierter Schriftstellerinnen und Dichter weltweit und strebt ihre Entlassung in Russland, China, der Türkei oder Syrien an.
Daneben muss der Akzent wieder stärker auf die Pflege und Verbreitung der schönen Literatur gelegt werden, denn der PEN ist in erster Linie eine Vereinigung von Schriftstellern und Dichterinnen: Lesungen, Diskussionen, Buchvorstellungen und andere literarische Aktivitäten sollen wieder im Mittelpunkt stehen. Obwohl der Streit der Vergangenheit alles andere denn ein „Generationenkonflikt“ war, wie zahlreiche Vereinsmitglieder, Journalisten und Außenstehende nicht müde wurden zu behaupten, sondern eine inhaltliche Auseinandersetzung, ist es nötig, den Verein jünger und diverser zu gestalten. Dies hat in Frankfurt bereits begonnen, wo ältere Mitglieder zusammen mit jüngeren den Vorstand wählten und inhaltlich diskutierten. Hinzu kommt im Jahre 2022, den Dialog statt der Polemik zu pflegen, die Toleranz statt der Rechthaberei und das Miteinander anstelle des Gegeneinanders. Denn im Kern eint das Motto alle Mitglieder im PEN-Zentrum Deutschland: Freiheit des Wortes statt Zensur und Meinungsverbot überall auf dem Globus.