Von der Trauminsel zum Albtraum:

 

                                             Der Fall Mauritius

 

Mark Twain soll einmal gesagt haben, der Herrgott habe am Anfang Mauritius erschaffen und erst danach das Paradies. Käme der Dichter heute auf die Insel, so müsste er bekennen, dass er einem furchtbaren Irrtum erlegen war.

Die Insel im Indischen Ozean liegt nahezu 11.000 Kilometer von Mitteleuropa entfernt und wird, nach langer Pandemiepause, jetzt wieder von einer Vielzahl von Fluggesellschaften bedient. Der moderne Flughafen Seewoosagur gerät bereits jetzt in Stoßzeiten, vor der Hauptsaison, an seine Grenzen. Stundenlange Wartezeiten an den diversen Kontrollschaltern warten auf den Reisenden, der von den 11 Stunden Nachtflug ohnehin genervt ist. Übermüdete schreiende Kinder steigern das Unwohlgefühl.

Ist alles überstanden, geht es in Windeseile zum gebuchten Hotel, wo überaus freundliche Menschen der Bleichgesichter harren. Die Unterkünfte im Osten, Norden und Westen sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sehr gut bis luxuriös und entsprechend teuer, aber auch für Rucksacktouristen gibt es Unterkünfte in der Nähe öffentlicher Strände, die freien Zugang zum Meer gewähren.

Strebt der Erholung suchende Tourist sodann zum Strand, um in der – in den Reiseführern und Prospekten vielgerühmten-türkisfarbenen See Abkühlung zu finden, erlebt er zwei bittere Enttäuschungen. Hier die erste: Der, zumal für die Nord-und Westküste der Insel, gepriesene Strand entpuppt sich als eine Anhäufung von Sand, der mit Steinen und abgestorbenen Korallen übersät ist, die einen Spaziergang mit bloßen Füßen zum blutigen Ereignis werden lassen, es sei denn, der Besucher hat sich rechtzeitig mit Badeschuhen eingedeckt. Der Verfasser dieser Zeilen tat dies genau einen Tag zu spät: am Vortage hatte er sich an einer Koralle eine tiefe Risswunde am Fußballen zugefügt, die tagelang nicht heilen wollte und jeden Schritt zur Qual machte.

Will der Reisende nun aber trotzdem im Meer baden-dem eigentlichen Zweck der langen Reise, denn das Herumplantschen im überfüllten und flachen Swimmingpool ist wenig attraktiv- erlebt er die zweite und weit schlimmere Enttäuschung. Abgegrenzt durch Buhnen und Leinen liegt vor ihm ein Miniareal, etwa zehn Meter vom Ufer entfernt, knappe zweihundert Meter lang und bei Ebbe etwa fünfzig Zentimeter tief, das wiederum mit scharfkantigen Korallen am Boden übersät ist und ein Schwimmen ohne Kratzer und Blutspuren unmöglich macht. Wagt der Tourist es dennoch, die Leinen zu überwinden und in das offene Meer hinauszuschwimmen, so riskiert er Kopf und Kragen. Nicht einmal zwei Meter hinter der Leine rasen PS-starke Motorboote mit Touristen zu den Tauchgebieten oder Orten, wo Wale, oder zumindest Delphine, zu sehen sein sollen, die freilich, eingekreist von einer Vielzahl von Ausflugsschiffen, verängstigt und entnervt das Weite suchen: Umweltverschmutzung, höchste Gefahr für Schwimmer und Zerstörung von Fauna und Flora! Insider berichten obendrein von Unfällen bei Schwimmern, die von Motorbooten schwer verletzt wurden.

Erstes Fazit: Mauritius für Schwimmer: Fehlanzeige!

Ansonsten zeigt eine Fahrt über die Insel typische Dritte-Welt-Phänomene: Wellblechhütten, vergammelte oder nicht zu Ende gebaute Häuser, Plastikramsch “Made in China“ vor den Geschäften. Die Landwirtschaft hingegen boomt, doch sind es in der Regel lediglich Zuckerrohrplantagen auf zuvor abgeholzten Regenwaldbeständen, deren Erträge in riesige Rum-Destillerien wandern. Ihr Produkt freilich ist erstklassig, zumal der dunkle „Chamarel Premium Rum“! Von den Gewinnen der Rum-Industrie erhalten allerdings die schwer schuftenden Bauern allzu wenig.

 

                                               Port Louis

Die Hauptstadt, im Namen an die französische Kolonialmacht erinnernd, ist einzigartig. Das Zentrum prägt, neben drei Häusern im Kolonialstil-Parlament, Gouverneurssitz und Rathaus- ein Kreis internationaler Banken auf engstem Raum, die, einer überdimensionalen Python nicht unähnlich, die Repräsentanz demokratisch-parlamentarischer Tradition und Meinungsbildung einschnüren, ja: abwürgen. Alle sind sie da: HSBC, Bank of China, Bank of America, BNP Paribas, Citigroup und viele mehr. Natürlich ist auch die Deutsche Bank vertreten, seit Jahrzehnten übrigens. Warum wohl?

Mauritius rangiert weit oben auf der Liste der Steuerbetrüger großen Stils. In den „Paradise- Papers“ und „Panama-Papers“ ist die Insel vermerkt als einer der größten Schlupflöcher für Milliardäre, die ihre Steuern „kreativ gestalten“, wie es in einer allgemein zugänglichen Broschüre heißt. Mauritius bietet extrem günstige Bedingungen für Investitionen, geringe oder leicht zu umgehende Steuern, Hilfen bei Cum-cum- und Cum-ex-Geschäften. Milliardäre, russische Oligarchen, Ölscheichs und Kriegsgewinnler geben sich hier die Klinke in die Hand. Der Rest ist Schweigen. Anzufügen bleibt lediglich, dass weiter draußen, am Stadtrand, alle großen Automobilhersteller wie VW, Toyota, Nissan, Suzuki, Ford, General Motors, Mercedes, BMW und Hyandai ihre Niederlassungen haben: Man schätzt auf der Insel, was teuer und umweltschädlich ist!

 

                                       Wo bleibt das Positive?

Freilich fände selbst Erich Kästner manches davon. Zu rühmen sind die Villen der Luxushotels, die nichts an Eleganz und Pracht vermissen lassen: allen voran das „Maradiva“ im Südwesten der Insel. Wer die horrenden Preise zu zahlen gewillt und in der Lage ist, möge dort absteigen. Er wird nicht enttäuscht werden.

Zu preisen daneben sind die Köche. Was sie, und zwar rund um die Insel, auf die Teller zaubern, ist aller Ehren wert und stellt manches hochgelobte Pariser Restaurant weit in den Schatten. Die seltene Mischung von kreolischer, indischer, französischer und afrikanischer Küche ist, zumal bei Meeresgetier und Fischen, von einer derartigen Faszination und Bekömmlichkeit, dass einem selbst beim Schreiben dieser Zeilen das Wasser im Munde zusammenläuft. Empfehlenswert sind vor allem die einheimischen, also mauritianischen, Fischgerichte, eine lokale Bouillabaisse oder, natürlich, Krabben und Hummer. Dann ist sogar der Kritiker versöhnlich gestimmt und zumal von der sanften und überaus freundlichen Art der Kellnerinnen bezaubert.

Bleibt am Ende die Sonne: Sie strahlt, unterbrochen von manchen Zyklonen, ohne Unterlass und obendrein kostenlos. Doch man hüte sich: Auf der südlichen Halbkugel ist die Sonnenbrandgefahr deutlich höher als im Norden. Mancher brandrot gefärbte Nordländer hat das schmerzhaft erfahren müssen.