Anti_Atom_END.inddDie Anti-AKW-Bewegung in Deutschland mit ihrer über 40jährigen Geschichte – beginnend mit der Beteiligung an der Platzbesetzung in Whyl bis zu den aktuellen Kämpfen nach dem offiziellen, halbherzigen Beschlusses eines Atomausstiegs – ist vielleicht eine der erfolgreichsten, vom Spektrum der Aktivist*innen breitesten aufgestellten und langwierigsten Neuen Soziale Bewegung. Aus ihrer Geschichte – sowohl den Erfolgen als auch den Misserfolgen –, ihren Erfahrungen und ihrer Politik lässt sich einiges lernen. Die selber anonym-bleibenden Herausgeber*innen haben Beiträge von Aktivist*innen – vorrangig aus dem autonomen Spektrum, aber auch von der Bäuerlichen Notgemeinschaft – in dem vorliegenden Band « Die Anti-Atom-Bewegung » versammelt. Die Beschreibung auf der Verlagshomepage von Assoziation A ist ganz passend formuliert: „Das Tresantis-Kollektiv vereint Querköpfe, die an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten eng mit dem Widerstand gegen Atomanlagen verbunden waren und sind.”

In den Beiträgen der Autonomen spiegelt sich das wieder, was einst Yok Quetschenpaua in seinem Lied « Komm zu den Autonomen » besang. « Grossmäuligkeit ist eine unserer Macken (…) aber manchmal kriegen wir auch etwas gebacken. » Die weitgehende Fokussierung auf die Autonomen lässt manch einen Aspekt wie die Wahl der Mittel zum Protest und die Debatte um das Thema « Gewaltfreiheit » beim Protest einseitig dargestellt erscheinen. Passagenweise lesen sich die Aktionsberichte wie pubertäre Kraftprotzereien. Um so dankbarer ist man über reflektierte Ansätze einer Auseinandersetzung mit dem Scheitern von Aktionen wie es von Frau Puvogel (« Keine Spuren im Schnee ») vorgenommen wird. Einzelne, namentlich gekennzeichnete Beiträge stammen von alten Bekannten z.B. von Reimar Paul, Herausgeber des Buches « … und auch nicht anderswo ! » (Die Werkstatt 1997), oder von der deutsch-französischen Kletteraktivistin Cécile Lecomte, deren Erfahrungen ihren Niederschlag in der Aufsatzsammlung « Kommen Sie darunter! » (Graswurzelrevolution 2014) fanden.

Der Sammelband unterteilt sich in drei Abschnitte, die wichtige Perioden der Widerstandsgeschichte umfassen und zählt über 40 Beiträge. Neben Hintergrundartikeln wie z.B. dem sehr interessanten Beitrag von Ella Seidock über die Geschichte der Einführung der Atomkraft und der dagegen gerichteten Proteste – « Die Träume der Technokraten » – finden sich vor allem Erfahrungsberichte wie z.B. « Nächtliche Aktivität » von Harry Potter. Es finden sich Berichte über Crowfunding in der Anti-AKW-Bewegung, das bekannte, u.a. von Joseph Beuys signierte Plakat « Tag X. Verhindert die Atommülltransporte ins Wendland », Repressalien und Umgang mit selbigen sowie auch über Skandale der Atomindustrie (« Schmierige Geschäfte : Transnuklear »). Obwohl die meisten Beiträge aus autonomer Sicht geschrieben sind, findet sich auch ein Beitrag von Katja Tempel – « X-tausendmal quer » über die gleichnamige Bewegung. Das abgedeckte Themenspektrum ist breit und spiegelt auch adäquat die Vielschichtigkeit der Thematik wider. Vereinzelt wird auch der Blick über den deutschen Tellerrand hinaus gewagt – z.B. am Beispiel Frankreich wie im Beitrag von Ann O’Nymous (« V wie Valognes »). Die Rezeption von Tschernobyl in der DDR im Umfeld der Ostberliner Umweltbibliothek fehlt allerdings. Dies wäre noch ein spannendes Kapitel gewesen, dass sich bislang nur vereinzelt in Sammelbänden der DDR-Opposition angesprochen findet. Hervorhebens Wert erscheint mir zu dem, dass es ein relativ ausgeglichenes Verhältnis von männlichen und weiblichen Autor*innen gibt, was in der Geschichtsschreibung sozialer Bewegungen leider noch keine Normalität ist. Illustriert ist der Band mit vielen aussagekräftigen Schwarzweiß Fotos von Aktionen und staatlicher Repression.

Trotz kleinerer, bereits angesprochener Schwächen ist dieses Buch ein sehr wichtiges und gutes. Es liefert sowohl Einblicke in die Bewegung und ihre Geschichte als auch Reflektionen über Aktionen und Aktionsformen, die für Bewegungsaktivist*innen Inspirationen bieten und Interessierten einen guten Überblick verschaffen.

Maurice Schuhmann

Tresantis (Hg.): Die Anti-Atom-Bewegung. Geschichte und Perspektiven, Assoziation A Hamburg 2015, ISBN: 978-3-8g6241-446-8, 384 S., Preis : 24,80 €.