Das Mögliche regieren
In den modernen Geistes- und Sozialwissenschaft gehört es zum guten Ton – man bezieht sich auf den französischen Philosophen Michel Foucault, man wendet seine Diskursanalyse auf jeglichen x-beliebigen Diskursstrang an und man palavert von „Gouvernementalität“ und „Dispositiven der Macht“. Im Falle des von Roland Innerhofer, Katja Rothe und Karin Harrasser herausgegebenen Bandes „Das Mögliche regieren“ steht wieder einmal die Gouvernementalität, d.h. nach Foucault eine spezifische Form des Regierens in Form der Selbsteueuerung (vgl. „Vorlesungen am Collége de France 1977-78“), im Zentrum der Betrachtung. Dieses Konzept wird von den hier versammelten 21 Autoren, Teilnehmern der gleichnamigen Graduiertenkonferenz, vorrangig auf literarische Texte aus der Zwischenkriegszeit (z.B. Kafka, Musil) angewendet. Dabei werden diese unter den Überschriften „Literarischer Möglichkeitssinn in der Moderne“, „Verworfene Selbstentwürfe“, „Utopische Räume“ und „Soziale und ökonomische Szenarien“ systematisiert. Dem Hintergrund der Autoren entsprechend wirken viele der hier versammelten Beiträge noch sehr zögerlich und weisen eine Reihe von kleineren methodologischen Schwächen auf (z.B. beim Rückgriff auf Zitate, der Rückbindung der untersuchten Texte auf das Foucault’sche Konzept). Es wird sich weitgehend hinter vorsichtigen Aussagen versteckt – und vieles, gerade interessante Aspekte dessen sind oberflächlich geblieben. Schade, generell steckt eine ganze Reihe von interessanten Anknüpfungspunkten in diesem Sammelband – gerade bezogen auf Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ (z.B. Kappeler, Die Organisation des Möglichen). Der insgesamt den Band durchziehende Faden – „Gouvernementalität“ an sich – ist etwas zu gering – während die Kenntnis des Lesers dessen generell vorausgesetzt wird. Die Vielschichtigkeit der Textgattung und Genres – von Kafkas Erzählungen, über Herzls Utopie „Der Judenstaat“ zu Franz Werfels Roman „Stern der Ungeborenen“ bis zur Philosophie von Edgar Zilsel – ist dabei auch ein zweischneidiges Schwert. Einerseits spannt dies einen Bogen und lotet eine Reihe von Anknüpfungspunkten aus, aber andererseits verliert sich das Buch damit auch in der Willkürlichkeit. Eine stärkere Fokussierung – genauso wie eine näher definierte Fragestellung hätte dem Sammelband gut getan. An vielen Stellen ist die Rückbindung an das Foucaultsche Konzept nur sehr holprig, wenn überhaupt vorhanden. Schade, das Buch bietet viel interessanten Stoff, der allerdings noch etwas unausgegoren wirkt.
Roland Innerhofer / Katja Rothe / Karin Harrasser: Das Mögliche regieren. Gouvernementalität in der Literatur- und Kulturanalyse, transcript Verlag Bielefeld 2011, ISBN: 978-3837614749, 336 S., 29,80 Euro.