Ich wurde mit Dreizehn geboren. Eine Kindheit habe ich mir geträumt. Als ich mit Dreizehn zur Welt kam, kamen auch die Träume zur Welt, die mir sagen: Es gab vorher etwas. Fetzen. Kurze Sequenzen. Ich und Alice aus dem Garten nebenan auf dem Lehm-Bernhadiner, den mein Großvater geschaffen hatte, für uns. Mein Großvater und ich auf der Straße. Ich bin fünf oder sechs Jahre alt. Ich sage: „Da geht ein Neger“. Mein Großvater sagt: „Es ist eine Beleidigung Neger zu sagen.“. Ich in der Grundschule. Wie ich dabei bin, als man einen jener immer zu findenden armen, angstvollen Schülern zusammenschlägt. Es tut mir heute noch leid. Ich und das Autowrack. Ich in ihm und die riesige Hornisse. Mein Freund Klausi und das Kindertelefon, das wir von Balkon zu Balkon spannten.
Viel mehr ist mir nicht in die Aussteuer gegeben von Irgenwoher. Aber alles nach meiner Geburt mit Dreizehn, das besitze ich. Tag für Tag. Kuss für Kuss. Angst für Angst. Zorn für Zorn. Ich und die anderen Mädchen, drei die rennen wasserwerfernass, flennen und rennen durch Altona in die Wohnung, in die Umarmungen, in das Fallen — aus der Welt. Mein Afghanenmantel. In der Fabrik, Barnerstraße. Teestube. Die Frau hinter dem Tresen. So warm, so schön, ihre Augen. Ich an ihr am Abend, nach ihrer Schicht. Meine Schultasche in ihrem Flur. Brockdorf. Der Schülerstreik in Hamburg. Trennungen auf Bahnsteigen. Das böse Mädchen. Susi zeigte auf sie. Geburtstagsparty. Und sagte: Sie ist ein böses Mädchen. Susi sagte immer die Wahrheit. Es war schrecklich mit der Wahrsagerin Susi. Aber schön mit dem bösen Mädchen. Ich habe ihren Namen vielleicht nie gewusst. H. der Grobschlächtige, Sensible, Böse, der konnte was J. nicht hinbekam. Gleich nach meiner Geburt. Wie in einen Vulkan geworfen zu werden war H. und J. war mir nur noch wie zu nahe am Lagerfeuer zu sitzen.
Ich würde mit Dreizehn geboren. Ich war gleich erwachsen. Kein kleiner Mensch. Auch kann ich mich nicht an eine Pubertät erinnern. Ob ich das verdrängt habe? Vielleicht. Vielleicht aber war da gar keine. Es gab über mir nur den Himmel. Ich war immer diskret. Das ist ein anderes Wort für: Zwei sein. Der sichtbare Mensch, der offen lebt, und der, der Geheimnisse wahrt. Wer kennt meine Hingaben, er kennt die Steilhänge, die ich erklommen habe? Außer jenen, die mit mir waren und die mir verloren gingen zu oft, wie ich ihnen verloren ging. Kein Wort sagten wir zu den anderen übers Sichhingeben, über die Angst in großer Höhe, über die Kühle unserer Häute, über Tränen und das inständige Beharren auf die Flut unserer Seelen, die uns, wechselseitig oft, nur einem manchmal, aus den Augen trat. Über Rotz und Wasser. Wir schwiegen, uns zu schützen, wie Steine. Manchmal waren wir uns nahe, als wären wir eines, und waren uns so nahe doch nur für einen kurzen Moment, für eine Nacht, für Stunden, für eine Hingabe im Vorrübergehen. Manchmal blieben wir eines eine Zeit lang. Manchmal sahen wir uns wieder wie Vögel sich am Himmel wiedertreffen.
Wir schwiegen auch, wenn wir uns, Arm um Schulter, öffentlich zeigten, wenn jeder und jede wusste: Der mit der, die mit dem. Aber was da war, allein, mit anderen im Nebel, das verwahrten wir vor allen, die nicht in unseren Nebeln wohnten.