Der Reader ist als diskursives Fachbuch angelegt. In einem ersten Teil
werden theoretische Positionen vorgestellt, die mit der Entwicklung und
den Forschungsfeldern der Kommunikationsgeschichte verbunden werden
können. Die fachlichen Wurzeln in der Publizistik und der Soziologie
werden hierbei ebenso erkennbar wie die Anschlussmöglichkeiten und
theoretischen Anregungen durch kulturwissenschaftlich orientierte
Theorien und Disziplinen. Das auf diesen Seiten abgesteckte Terrain ist
weit und lässt die wissenschaftlichen Erfolge der Vergangenheit der
Kommunikationsgeschichte bruchlos neben die aktuellen und für die
Zukunft anvisierten Arbeitsfelder treten. Beginnend mit einer
disziplinären Selbstverortung des Fachs (Horst Pöttker) werden unter
anderem Aspekte wie Generation (Rainer Gries), Geschlecht (Susanne
Kinnebrock), Zeit (Rudolf Stöber) oder Biographik (Wolfgang R.
Langenbucher) in ihrer Relevanz für die kommunikationsgeschichtliche
Forschungspraxis vorgestellt. Der zuweilen auch sprachlich explizit
verwendete Begriff des „Plädoyers“ verweist in einigen Beiträgen dieses
Teils auf die Notwendigkeit einer theoretischen und inhaltlichen
Neudefinition der traditionellen geistes-, kultur- und
sozialwissenschaftlichen Gegenstandsbereiche und ihrer Epistemik.
Wertvolle Anregungen bietet in diesem Zusammenhang der Text von
Stefanie Averbeck zur Methodologie fach- und theorienhistorischer
Forschung. Die Ausführungen von Wolfram Peiser über Wolfgang Riepls
1913 formuliertes „Gesetz“ einer Komplementarität alter und neuer
Medien verdeutlichen, dass der kritische Rückgriff auf die
Disziplinengeschichte gerade in Zeiten des beschleunigten
Medienwechsels von Inhalten und neuen Medien die Perspektiven der
Kommunikationsgeschichte zu schärfen hilft.

Der zweite Teil bietet einen Einblick in Methoden und Werkzeuge
kommunikationsgeschichtlicher Praxis. In Zeiten universitärer
Sparprogramme und gekürzter Mittel für Hilfswissenschaften ist der
praktische Nutzen der hier versammelten Beiträge für das Selbststudium
von Studierenden kaum abzuschätzen. Die Definition von
Gegenstandsbereichen und Grundbegriffen der
kommunikationsgeschichtlichen Forschung (etwa der „Quelle“ (Edgar
Lersch/Rudolf Stöber), der „Kategorie“ (Maria Löblich) oder der
(Zeitungs)„Statistik“ (Hans Bohrmann)) wird hier mit mittlerweile
bewährten Methoden der Sammlung und Interpretation von Informationen
verbunden. In jedem Beitrag wird darüber hinaus eine
gegenstandskritische Perspektive erkennbar, die den Nutzen, aber auch
die Grenzen der vorgestellten Aspekte erkennbar lässt. Die Beiträge von
Jürgen Wilke, Christoph Classen, Michael Meyen, Josef Seethaler und
Markus Behmer bieten zudem Literaturhinweise in einer außerordentlichen
inhaltlichen Bandbreite an, die eine eigenständige Auseinandersetzung
mit den diskutierten Themen erleichtert. Aber es ist ohnehin ein
Merkmal der insgesamt achtzehn Beiträge des Readers (zehn
Positionsbestimmungen und acht Texte zu den Methoden), dass neben einer
knappen Zusammenfassung am Ende jedes Textes auch eine hilfreiche Liste
mit weiterführender Literatur die eigenständige Auseinandersetzung mit
den vorgestellten Themen erleichtert.

Die Veröffentlichung wird den Erwartungen gerecht, die an ein Hand- und
Lehrbuch zur Kommunikationsgeschichte gestellt werden. Dennoch sind
zwei Aspekte zu kritisieren: So wird das Internet in einigen Artikeln
im Rahmen kursorischer Ausführungen zu neuen Medien durchaus als
Kommunikationsmedium angesprochen, in seinen Konsequenzen für die
Kommunikationsgeschichte bleibt es jedoch unbeachtet. Dabei ist der
Computer (der als Endgerät der Internetnutzung erst in jüngster Zeit
durch das Mobiltelefon eine Ergänzung gefunden hat) nicht nur seit
beinahe drei Jahrzehnten in den Redaktionen von Zeitungen, in der Regie
der Sendeanstalten und auch in normalen Haushalten verbreitet und kann
damit als technik- und kommunikationsgeschichtliches Phänomen schon auf
eine kurze, jedoch bewegte Vergangenheit zurückblicken. Zugleich
bedeutet das Internet auch hinsichtlich der archivarischen Speicherung
von Kommunikation, der Veränderung von Kommunikationsmöglichkeiten und
der demokratischen Partizipationsmöglichkeiten seiner Nutzung eine
wissenschaftliche Herausforderung, die nicht erst in der Zukunft die
Themen und Methoden der Kommunikationsgeschichte beeinflussen dürfte.
Die prinzipielle Offenheit des Medienbegriffs, die in diesem Band
glücklicherweise vertreten wird, hätte eine diesbezügliche theoretische
und methodische Öffnung der Perspektive ohne weiteres gerechtfertigt.
Gerade angesichts der bereits angesprochenen Konzentration auf
journalistische Medien wäre in diesem Zusammenhang eine
Auseinandersetzung mit den Thesen von Derrick de Kerckhove denkbar
gewesen, der bereits 1995 die Konsequenzen des Medienwechsels hin zum
Computer (unter besonderer Berücksichtigung des Nachrichtenwesens)
skizziert hat [1]. Eine weitere Irritation ist das in einigen Beiträgen
vertretene Bild einer monolithischen und theoriefernen
Geschichtswissenschaft. Bisweilen verfängt sich der Band hier in
Widersprüchen, indem ein anachronistisch anmutender Antagonismus neben
überzeugenden Beispielen der prinzipiellen wechselseitigen
Anschlussfähigkeit beider Disziplinen aneinander tritt.

Der größte Vorzug des Bandes ist jedoch zweifellos darin zu sehen, dass
die Heterogenität der Beiträge und das breite Forschungsspektrum sowie
die praktischen Erfahrungen der beitragenden Wissenschaftler nicht nur
theoretische Grundlagen und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für
Studierende vorstellen, sondern auch einen Einblick in die Geschichte
der Kommunikationsgeschichte selbst bieten. Studierende und Freunde
dieser traditionsreichen Disziplin werden die Bandbreite
unterschiedlicher Positionen und Zugangsweisen zweifellos in den
kommenden Jahren als Anregung für eigene Arbeiten nutzen können. Auf
eine solche Art und Weise einen geistigen Dialog mit neuen
wissenschaftlichen Autoren anzuregen und zu gestalten, der die Zukunft
des Fachs sichern dürfte, muss als Leistung der Herausgeber und aller
Beiträgerinnen und Beiträger gewürdigt werden.

Anmerkung:
[1] Derrick de Kerckhove, Schlussfolgerung: Vom Alphabet zum Computer,
in: Ders., Schriftgeburten. Vom Alphabet zum Computer, München 1995, S.
187-197.

Titel: Kommunikationsgeschichte. Positionen und Werkzeuge. Ein diskursives Hand- und Lehrbuch
Reihe: Kommunikationsgeschichte Bd. 26
Herausgeber: Arnold, Klaus; Behmer, Markus; Semrad, Bernd
Ort: Münster
Verlag: LIT Verlag
Jahr: 2008
ISBN: 978-3-8258-1309-3
Umfang/Preis: 458 S.; € 39,90

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Stefan Zahlmann, Fachbereich Geschichte, Universität Konstanz
E-Mail: <stefanz@snafu.de>

Wir bedanken uns für Erlaubnis des Rezensenten zur Übernahme.

Die Originalrezension vom 10. April 2009 finden Sie hier:

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-027