Das Mainfranken Theater gab Lucia di Lammermoor und es war ein brillanter Erfolg! Ob es klappen könnte, eine Oper, noch dazu eine der schwarzen Romantik, des Belcanto und der großen Melodien im Befehlsheim „Blaue Halle“ erfolgreich aufzuführen – ich war mir vor dem ersten Ton nicht sicher. Aber es ging doch ganz gut. Natürlich gibt es, der Räumlichkeit geschuldet, Einschränkungen. Der Graben ist keiner, die Instrumente klingen durchdringender, als es im Haus an der Theaterstraße der Fall gewesen wäre. Dort baut man um, der Ort nun war also den Umständen geschuldet. Man muss die Unzulänglichkeiten, die sich in der Akustik nicht vermeiden lassen, abrechnen, um zu einer fairen und ordentlichen Bewertung zu kommen.

Die Widrigkeiten also in Abzug gebracht, habe ich eine außerordentliche Leistung erlebt. Das Philharmonische Orchester Würzburg spiele präzise und war, hörbar und oft mit Erfolg, bemüht, die räumlichen Unzulänglichkeiten durch ein angepasstes Spiel auszugleichen. Enrico Calesso, der die musikalische Leitung innehatte, er war in der Spielzeit 2010 Erster Kapellmeister und ist seit 2011 Generalmusikdirektor des Mainfranken Theaters, hat seinen Klangkörper ohne Fehl und Tadel durch die dunkle, bläserreiche, im besten Schaurigen verhaftete Musik Donizettis geleitet.

Auf der Bühne agierten großartiger Sängerinnen und Sänger. Sie alle sangen hervorragend und, trotz der Unbill des Raumes (sie mussten ja quasi gegen das Orchester ansingen), musikalisch und theatralisch fehlerfrei. Dabei gab es einige Probleme bei der Besetzung. So musste kurzfristig ein Kollege aus Leipzig einspringen.
Ich werde deshalb meine Sicht auf die Leistungen der männlichen Akteure nach Ostern nachtragen, wenn ich mit der Pressestelle wegen weiterer Informationen gesprochen habe.

Barbara Schöller, die die Alisa sang, gab eine gute Leistung ab. Die Rolle eignet sich nicht, um zu glänzen, dazu ist sie zu reduziert. Und doch war Schöller in der Lage, mit großer Präsenz eine Gravitation auf der Bühne zu erzeugen.

Foto: Nik Schölzel | Akiho Tsujii (Lucia)

Akiho Tsujii aber war – ich hoffe, ihre Kolleginnen und Kollegen verzeihen mir dieses besondere Lob – herausragend. Sie hat etwas, was selten ist: Sie hat zwei Stimmen. Natürlich kann fast jeder ausgebildete Sänger warm oder kalt singen. Aber die Stimme wird dann lediglich variiert. Sie klingt warm, sie klingt kalt, aber es ist keine eigentlich andere Stimme. Konträr jedoch bei einigen wenigen, die mit eben dieser zweiten Stimmen beschenkt worden sind. Im Bereich des Jazz ist es Frank Sinatra, von dem bekannt ist, dass die eine Stimme wie Stahl und die andere wie Samt klingt. So ist es auch bei Akiho Tsujii. War vollendet warm und hingebungsvoll, verzweifelt glühend ihr Gesang bei den Liebes- und Flehensstücken, so wurde in der Mad-Scene ihre zweite Stimme am Ende hervorgehoben: Die kalte, die wie glänzender Stahl klingt und, Zufall sicher, klang, als wäre der Stahl des blanken Schwertes in ihrer Hand ihr in den Hals gefahren.

Sicherlich haben auch viele andere Rezensenten und Kritiker Referenzleistungen, an denen sie die Qualität von Darbietungen messen. Da geht es dann nicht um die Art, um Attitüden oder Intonationen, es geht ganz ausschließlich um die Fallhöhe, die erreicht worden ist und mit der sich Andere nun, angemessen gewogen, vergleichen lassen müssen. Für die Rolle der Lucia ist es bei mir Lisette Opresa. Und in der Tat habe ich an diesem Abend eine Lucia gesehen, die ganz und gar die Fallhöhe der Opresa zu erreichen in der Lage war, auch wenn es zum Ende hin Probleme in den ganz hohen Tönen gab. Da sie aber erst dann auftraten, rechne ich auch sie den räumlichen Gegebenheiten zu.
Akiho Tsujii hat eine straighte Art zu singen. Sie singt die Töne mit großer Kraft und dort, wo es so sein soll, großer Weichheit, aber ohne jedes Posieren, keine Überbetonung, kein falsch gesetztes Timbre. Großartig.

Was aber zeigten das gute Orchester und die guten Sängerinnen und Sänger, der großartige Chor, auf der Bühne, worum geht es?

Lucia di Lammermoor basiert auf dem Roman „The Bride of Lammermoor“ von Sir Walter Scott. Den grobe Rahmen bilden zwei verfeindete Adelsfamilien (im literarischen Ursprung katholischen und protestantischen Glaubens), Ashton und Ravenswood. Lucia aus dem Hause Ashton liebt Edgardo aus dem verfeindeten Hause. Lucia aber soll, Aufstiegswille, Machthunger und dunkle Diplomatie erzwingen nach Meinung ihres Bruders dies, einen anderen heiraten: Lord Arturo Bucklaw. Ihn wird Lucia im zweiten Bild des dritten Aktes erstechen. Dort spielt dann auch die bekannte Mad Scene.

Eine kurze Übersicht über den Stoff und seine Historie bietet Wikipedia.

Was sich auf den ersten Blick wie eine Adaption von Romeo und Julia liest, geht weit darüber hinaus. Lucia di Lammermoor ist eine Anklage gegen eine patriarchalische Welt. Denn nichts anderes wird hier beschrieben, als die Warenhaftigkeit einer weiblichen Existenz in einer vollkommen durch Männer dominierten Gesellschaft. Lucia ist eine Handelsware, deren Selbstbestimmungsrecht schon deshalb nicht wahrgenommen werden kann, weil sie als Tauschgut für den weiteren Aufstieg der Familie Ashton herhalten muss. Diese erzwungene Heirat ist mehr als eine, damals durchaus übliche, Konvenienzehe, sie ist ein Menschenhandel und Lucia ist eine rechtlose Ware.
Der Ausweg, der bleibt, die die Notwehrtat, die die Tötung des Bräutigams darstellt und der Verfall in den Wahnsinn, denn welche andere Lösung könnte in einer wahnsinnigen Männerwelt bleiben, als der eigene Wahn, der immerhin noch vorzugaukeln vermag, dass die Liebe zum verbotenen Geliebten weiterhin bestünde.

Lucia di Lammermoor ist also auch ein präfeministisches Stück über eine brutale, frauenverachtende Welt.

Die Oper läuft im MFT noch bis zum Mai. Link zum Theater.

Fotos: © Mainfranken Theater