Batailles Anti-Ökonomie

Der französische Soziologe und Autor Georges Bataille (1897-1962) war vielseitig interessiert. Er publizierte mit dem Text „Der verfemte Teil“ (1949) auch eine Studie zur (allgemeinen) Ökonomie, der sich einerseits als Auseinandersetzung mit dem Exzess in sein Werk gut einreiht, aber gleichzeitig vom konkreten Gegenstand aus seinem Oeuvre hervorsticht. Es handelt sich um eine Ausarbeitung einer These, die er bereits in seinem Text „Der Begriff der Verausgabung“ (1933) vertrat. Sein Blick auf Ökonomie ist dabei – wie er selber im Vorwort bemerkt – weniger auf die Ebene der Produktion als auf die „Verausgabung“ bzw. „Verzehrung“ gerichtet. Ein Stück weit ist sein Fokus durch die Rezeption von Marcel Mauss‘ Studie „Die Gabe“ (1925) geprägt.

Bataille betrachtet die Ökonomie vorrangig unter dem Aspekt des „Energieüberschuss“, d.h. er hat einen völlig anderen Zugang als z.B. ein „klassischer“ Ökonom wie Karl Marx. Selbstbewusst erläutert er sein Konzept mit den Worten: „Die Ausdehnung des Wachstums erfordert von selbst den Umsturz aller ökonomischen Grundsätze – den Umsturz der Moral, die sie begründet. Der Übergang von den Perspektiven der beschränkten zu denen der allgemeinen Ökonomie ist in der Tat eine kopernikanische Wende: das Auf-den-Kopf-Stellen des Denkens und der Moral“ (S. 27f). Dabei thematisierte er – partiell das Schlagwort des Club of Romes von den „Grenzen des Wachstums“ vorwegnehmend: „Die unmittelbare Schranke für jedes Individuum, jede Gruppe ist durch die anderen Individuen, die anderen Gruppen gegeben. Aber die irdische Sphäre (genauer die Biosphäre, das heißt der Raum, in dem Leben möglich ist) ist die einzige tatsächliche Begrenzung“ (S. 32).

Den Titel seines Werkes erläutert Bataille im ersten der fünf Teile seines Werkes: „Das Gefühl einer Verfemung ist an diese doppelte Abwandlung der Bewegung gebunden, die die Verzehrung der Reichtümer von uns verlangt: [….] In dem Augenblick, da der Zuwachs an Reichtümern größer ist als je zuvor, nimmt er in unseren Augen endgültig den Sinn an, den er in gewisser Hinsicht schon immer hatte, den Sinn des verfemten Teils.“ (S. 44). In Anschluss an jenes theoretisches Kapitel schliessen sich drei über historische Gegebenheiten sowie eins über die gegenwärtige Situation an. Bezüglich der historischen Gegebenheiten greift er u.a. sowohl auf das Konzept des Menschenopfers der Azteken als auch auf den Potlatch zurück und setzt sich mit religiösen Zugängen am Beispiel des Islams und des tibetanischen Lamaismus auseinander. Darin spiegelt sich deutlich der ethnologische Charakter seiner Forschungen wieder und unterstreicht die Vielschichtigkeit seines Denkens. Für Bataille dienen jene religiös begründeten Gesellschaften zur Illustration von unterschiedlichen Zivilisationsformen. Anhand jener Beispiele thematisiert er das „Opfer“, d.h. einen Ausdruck von Verzehrung, den er eingangs thematisiert.

Das Nachwort für diesen Band hat Benjamin Noys, ein Professor für kritische Theorie, unter dem Titel „Das berauschte Buch“ verfasst. In diesem ordnet er jenes Werk ein, was bei jenem Text sehr wichtig erscheint, und würdigt es gleichzeitig. Benjamin Noys titulierte das Werk in diesem Nachwort auch passend in Abgrenzung zu Karl Marx‘ ökonomischen Theorien als ein Werk der „Anti-Ökonomie“ (S. 236).

Anläßlich des anstehenden 60. Todestages von George Bataille lohnt es sich, mal wieder in das theoretische und literarische Werk des französischen Intellektuellen zu werfen. Es lohnt sich auf jeden Fall unter dem Aspekt der Anti-Ökonomie jenes Werk erneut zu lesen.

Maurice Schuhmann

Georges Bataille: Der verfemte Teil. Versuch einer allgemeinen Ökonomie, Matthes & Seitz Berlin 2021, ISBN: 978-3-957577955, 256 S., Preis: 22 €.

Am 7. Juli um 19h hält Dr. Maurice Schuhmann im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte (Greifswalder Straße 4) einen Vortrag über das Leben und Werk Batailles.

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