Ab Donnerstag an das Lektorat von "Lotta erkennt ihre Welt". Das Buch wird Gedichte, Miniaturen, Kurzgeschichten und einige Essays beinhalten. Auch meine beiden Auslassungen zum Sprachstreit – "Neger" – wollte ich mithineinrühren.
Nun aber bin ich, nachdem ich die Fahrt zurück von Nürnberg genutzt habe, mir auf dem Smartphone nochmals die Argumente für und wider die Veränderungen von Texten anzusehen, nicht mehr recht meiner Meinung. Ich neige zur Bipolarität.
Was ich für Bücher wie "Onkel Tom" ablehne, und zwar aus doppelten Gründen, vermag ich für Bücher wie "Pippi Langstrumpf" nicht abzulehnen. Denn es handelt sich nicht nur bei der Beinbekleidung von Pippi um zwei unterschiedliche Strümpfe, sondern auch bei den Büchern. Während man bei Kinderbüchern dem Rassismus Einzug in den – positiven – Sprachschatz verwehrt, wenn man z.B. aus der 'Negerprinzessin' eine Südseeprinzessin macht, würde man in anderen Fällen nicht weniger tun, als den vorhandenen Rassismus verschleiern. Das soll man nicht wollen. Und ich will das nicht.
Man muss in diesem Falle mit zweierlei Maß messen. Und nicht nur in diesem. Dort, wo es literaturhistorisch und hinsichtlich der Verortung der Handlung in der Geschichte vonnöten ist, beim Ursprungstext zu bleiben, muss man ihn mit aller nötigen Vehemenz verteidigen. Dort, wo ein Festhalten am Ursprungstext nunmehr als negativ erkannte Weltsichten und Verhaltungsmuster positiv in Erziehung und Entwicklung einzubringen in der Lage ist, wird man andere Wege gehen müssen. Das muss nicht unbedingt der Worttausch sein, es kann – je nach Werk – auch durch Zusätze geschehen, die jedoch zu kennzeichnen wären, so wie auch der Tausch zumindest erkennbar im Buch vermerkt sein müsste.
Besondere Fälle bedürfen dabei jedoch auch der Aufarbeitung von Erstehungsgeschichte und Konnex. So wird z.B. – das hier nur als Anmerkung – in den Aufführungen und Übersetzungen des 'Othellos' Othello stets als Afrikaner dargestellt. In diesem Fall – ähnlich wird es geben – ist jedoch zu fragen, was der Dramatiker Shakespeare denn mit dem "Moor" (im engl. Original) gemeint ist. Ist es nicht eher der Maure? Kann es nicht einfach auch nur ein Mann mit schwarzen Haaren sein. Eine Zuschreibung die durchaus zeittypisch gewesen wäre. Aber soll man dann verändern? Soll aus dem Afrikaner mit dunkler Haut, der – je nach Regiearbeit – ja auch durch den latenten Rassismus seiner Gegenspieler zum Mord an Desdemona getrieben wird, ein weißhäutiger Schwarzhaariger werden? Was geschieht dann mit den dramatischen Zusammenhängen? Und bliebe es bei einem Mauren, gewönne dann der Rassismus der Gegenspieler nicht noch an Stärke. Immerhin wäre dann das männliche Opfer der Intrigen einer, der von seiner Herkunft her kein Opfer ist, sondern ein historisch starker Gegner: Ein Sarazene, einer vielleicht der in Al-Andalus zu den hervorragenden Feldherren des Maurenreiches gehört hat?
Man muss also mit dem Wortstreit auch die Rezeptionsgeschichte von fremdsprachiger Literatur in Deutschland hinterfragen. Ein guter Zeitpunkt Fehler zu korrigieren und zugleich dafür zu sorgen, dass rassistische Begriffe aus den Kinderzimmern verschwinden, ohne zu erlauben, dass sich die Literatur ihres oft vorhandenen rassistischen Hintergrundes enthebt.
Anzumerken allerdings ist: Viele von denen, die mit Entschlossenheit Zigeunerschnitzel umbenennen wollen und Negerküsse umbenannt haben, sehen kein Problem darin, in Koalitionen zu sitzen, deren Innenminister Romafamilien auf den Balkan und afrikanische Familien in ihre desolaten, mörderischen und oft nur angenommenen Ursprungstaaten ausweisen. Ein freundlicher Sprachgebrauch, auch das muss man beachten, macht noch keinen Humanisten. Er kann auch verschleiern.
Bild aus Wikipedia. Aus Menschen Neger machen. Hier: 'Nickneger' in einer Krippe, Kirche in Hannover.