Gendering 9/11
An der Freien Universität Berlin gehört zum Pflichtprogramm für jeden, sich irgendwie als links definierenden Studierenden der Besuch eines Kapital-Lektürekurses und mindestens eine Hausarbeit, in der eine Foucault’sche Diskursanalyse durchgeführt wird. Allgemein erfreut sich die Methodik der Diskursanalyse – häufig in Form einer Medienanalyse – unter Sozialwissenschaftlern grosser Beliebtheit. Zeitweilig hatte man den Eindruck, dass im fast wöchentlichen Rhythmus Diskursanalysen erschienen, die rassistische, sexistische und homophobe Stereotype aufzudecken versuchten. Dabei wird man selten das Gefühl los, dass sich die Verfasser von Medienanalysen, auch wirklich mit der Funktionsweise von Medien und Journalismus auskennen. Die Trennung von Bild- und Textredaktion wird ignoriert, die eigenen, redaktionellen Recherchen von Redaktionen und die Arbeit mit Agenturmeldungen wird nicht differenziert und der Leser als Käufer und Konsument wird völlig ausgeklammert.
Die an der Freien Universität Berlin als Doktorarbeit eingereichten Arbeit „Gendering 9/11. Medien, Macht und Geschlecht im Kontext des ‚War on Terror’“ von Andrea Nachtigall sticht aus der Fülle von Veröffentlichungen von Diksursanalysen qualitativ heraus – auch wenn sie passagenweise den oben angeführten blinden Flecken der Medienanalyse reproduziert. Das Anliegen ihrer umfangreichen Medienanalyse der Printausgaben der beiden deutschen Leitmedien „FAZ“ und „Spiegel“ zwischen dem den AnschLägen vom 11. September (11/9) und dem der Entscheidung über das Bundeswehrmandat zum Afghanistankrieg. Sie selbst erläutert im Vorwort ihrer Arbeit als Alleinstellungsmerkmal ihrer Arbeit gegenüber der unüberschaubaren Menge von Titel über das Thema „9/11“: „Die Untersuchung unterscheidet sich damit von der mittlerweile kaum mehr zu überschauenden Menge an Publikationen zum 11. September in zweierlei grundlegender Hinsicht: Zum einen beschäftigt sie sich mit den medialen Artikulationen und Deutungen von ‚Terror’ und dem ‚Krieg gegen den Terror’ – nicht mit den Ereignissen und politischen Konsequenzen an sich. Zum anderen fragt sie nach den geschlechtlichen Rollen- und Identitätszuschreibungen, Metaphern und Symboliken und ihrer Funktion“ (11). Ihr Anliegen ist es dabei aufzuzeigen, „dass Geschlechterbilder im Zusammenhang mit den kollektiven Identitätskonstruktionen eine zentrale symbolische Ressource darstellen, die die diskursiven hierarchisierenden Grenzziehungsprozesse zwischen ‚Eigenem’ und ‚Fremden’, Freund und Feind, nochverschärfen und verstärken“ (19). Der Vergleich von einer Tageszeitung wie der FAZ und einer wöchentlich erscheinenden Nachrichtenmagazins wie dem Spiegel wird von ihr problematisiert lediglich implizit im Zuge der Strukturanalyse beider Medien.
In der Einleitung umreisst sie – nicht immer ohne eine gewisse mitschwingende Polemik – die medial verbreitete Bedeutung des 9/11 und streift auch die Theorie der „neuen Kriege“. Es ist ein ziemlicher Performanceritt durch die Bandbreite sozial- und geisteswissenschaftlicher Debatten. Dem schliesst sich ein sauber verfasstes Theoriekapitel an, in dem sie den theoretischen Komplex von Krieg, Geschlecht und Medien aus einer feministischen, gender-sensiblen Standpunkt aus skizziert, sowie eine Erläuterung der von ihr gewählten Methodik und der ausgewählten Quellentexte vornimmt. Dies ist sehr flüssig und informativ verfasst. Es erlaubt auch dem relativen Laien, sich schnell in die von ihr im Hauptteil durchgeführte Analyse einzufinden.
Der Hauptteil der Arbeit ist dementsprechend eine Analyse der Deutung der Ereignisse (der Anschlag, die sog. Kofferbomber) und die Darstellung der Hauptakteure (u.a. Georg W. Busch, Joschka Fischer und die Grünen, die KSK, die Taliban, die afghanischen Frauen). Die Analyse der Akteure, die vom Umfang her überwiegt, erfolgt anhand einzelnen Geschlechtskonstruktionen – z.B. „Staatsmann“, „charismatischer Führer“ oder „Opfer“ und Wilder“ etc. . Dabei berücksichtigt sie auch die westliche Konstruktion des Orients und von rassistischen Stereotypen im generellen, was sich in der von hier aufgezeigten Verbindung des Kriegsdiskurses auf der Ebene der Internationalen Beziehungen und der innenpolitischen Ebene in Form der Verbindung des Diskurses über Asylsuchende und Flüchtlinge bzw. in der Verabschiedung von Anti-Terrorgesetzen in Deutschland. Neben der Analyse dessen erfolgt auch eine Interpretation jener Deutungsmuster aus feministisch-politikwissenschaftlicher Perspektive. Vereinzelt werden dabei auch die Thesen durch den Abdruck von Bildmaterial aus den entsprechenden Magazinen unterstrichen.
In ihrem Fazit, fasst sie die Ergebnisse fokussiert zusammen und öffnet jenen Themenkomplex durch eine Einbindung neuerer und aktueller Ereignisse wie der Errichtung eines Denkmals für gefallene Bundeswehrsoldaten. Ebenso rundet ihre Auseinandersetzung mit der fehlenden Auseinandersetzung mit Frauenrechten in Afghanistan nach dem Krieg in den Medien die Arbeit ab. Sie unterlässt allerdings, die von ihr gewählte Methodik zu reflektieren und die ihr immanenten weissen Flecken zu benennen.
Eine ihrer vielleicht besonders diskussionswürdigen Thesen lautet, dass mit der Gestalt des Terroristen eine neuer „Akteur“ im Diskurs konstruiert wird. Hier wäre vielleicht ein kurzer Exkurs über das Verhältnis der Figur des „Terroristen“ und des „Partisanen“ wünschenswert gewesen, da nach der oberflächlichen Betrachtung eine dichte Nähe zwischen beiden Figuren besteht.
Trotz einzelner Kritikpunkte ist diese Arbeit ein wichtiger und weiterführender Beitrag für den politikwissenschaftlichen Diskurs. Er verdeutlich erneut, wie das Konstrukt von Geschlecht auch in den Bereich der Internationalen Beziehungen hineinreicht, und führt zu diskussionswürdigen Ergebnissen. Sie verdeutlicht in welchem Masse Geschlechtskonstruktionen bei der Legitimierung von politischem Handeln genutzt werden. Sie verdeutlicht darüber hinaus u.a., wie die zur Legitimation des Afghanistankrieges verwendete Legitimationsmuster des Kampfes gegen die Unterdrückung der Frau und die Homophobie zu einer Kaschierung selbiger im eigenen Land führen. Insgesamt ist es aber eine sehr aufschlussreiche und wichtige Veröffentlichung, die einen wichtigen Zusammenhang in der Logik und Feindkonstruktionen beleuchtet.
Maurice Schuhmann