Eine interessante und wichtige Zusammenstellung
Marcus Hawel und Stefan Kalmring organisieren gemeinsam für die Rosa-Luxemburg-Stiftung seit mehreren Jahren den „Salon Bildung“, ein spezifisches Format für politische Bildung. Nun haben sie gemeinsam einen Sammelband zum Thema „Politische Bildung in einer zerrissenen Gesellschaft“ beim Berliner Verbrecher Verlag herausgegeben, in dem Beiträge aus jenem Format veröffentlicht sind. Unterteilt in vier Themenbereiche gehen die Autor_innen in vierzehnBeiträgen der übergeordneten Thematik nach. Die beiden Herausgeber erklären im Vorwort über ihr generelles Anliegen: „In dem vorliegenden Band wollen wir zusammen mit einer Reihe von Autor:innen ergründen, welchen Beitrag eine linke politische Bildung für die verschiedenen Krisenfelder der Gesellschaft leisten kann und was dafür getan werden sollte, damit dies gut gelingt.“ (8). Dem liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass sich unsere Gesellschaft einer Vielzahl, sich überlappender Krisen ausgesetzt sieht, die auch die (linke) politische Bildungsarbeit vor neue Herausforderungen stellt.
Der erste Abschnitt, der gleich mit einem sehr theorielastigen Beitrag von Mitherausgeber Marcus Hawel beginnt, steht unter dem Titel „Politische Bildung als Kapitalismuskritik“. Der erste Beitrag beschäftigt sich mit „den zentrifugalen Käften des Kapitalismus und den Ideologien der Ungleichwertigkeit“. Ein weiterer, von Holger Oppenhäuser verfasster Beitrag, beschäftigt sich mit der Frage, wie Wirtschaft und Gesellschaft bildnerisch vermittelt werden können.
Es folgt ein Abschnitt mit sechs Beiträgen zu „Politischer Bildung in einer zerrissenen Gesellschaft“. Die Autor_innen beschäftigen sich mit rechtem Hass auf LSTBQIA*, Klassizismus, Antisemitismus…. als Themen der kritischen politischen Bildung. Hierbei ist vor allem der Beitrag zu Klassizismus von Interesse, der sehr differenziert das Themenfeld in Bezug auf den universitären Raum betrachtet. Er wurde von Ricardo Altieri und Bernd Hüttner verfasst. Der Beitrag über Querdenker_innen und Verschwörungsmythen von Friedrich Burschel wirkt hingegen schon fast etwas überholt.
Der dritte Abschnitt knüpft an den vorherigen Abschnitt an und fokussiert statt politischer Bildung die „aktivistische Bildung“. Insgesamt ist er der interessanteste Abschnitt des Buches. Stefan Kalmring erklärt diesen Begriff, auf Joahnna Kubiakowska zurückgreifend als „besondere Variante der politischen Bildung“ (203). Für ihn folgt daraus: „Nach meiner Auffassung ist eine aktivistische Bildung stets den Grundsätzen einer emanzipatorischen und kritischen politischen Bildung verpflichtet.“ (210). Ebenso von größerem Interesse ist ein Beitragvon Ahmed Shah, der sich mit der theaterpädagogischen Arbeit beschäftigt. Etwas aus der Reihe fällt der Beitrag von Asia Kubiakoska, die sich mit Embodiment-Praktiken beschäftigt. Dieser Abschnitt hätte gerne etwas ausführlicher ausfallen können bzw. wäre als Thematik einer eigenen Veröffentlichung geeignet.
Der abschliessende vierte Abschnitt beinhaltet zwei Gespräche über politische Bildungsarbeit – u.a. mit den Macher_innen von dem Podcast „Bildung in Rosa“. Dieser Abschnitt schwächelt etwas. Bei den Gesprächen fehlt mir persönlich etwas der Tiefgang. Hier wäre sicherlich etwas mehr drin gewesen, da die hier miteinander Sprechenden doch von ihrem Background sicherlich einige interessante Dinge auszutauschen hätten und mehr Einblicke in die Praxis hätten bieten können.
Insgesamt ist der Sammelband eine interessante und wichtige Zusammenstellung von marxistisch geprägten Ansätzen zu Fragen der (antikapitalistischen) politischen Bildung. (Kaum ein Beitrag kommt ohne Referenz auf Marx aus….) Allerdings muss auch kritisch anmerken, dass viele der Beiträge sich in einer klassischen universitär-linken Bubble-Blase aus Marx und Frankfurter Schule-Romantik verbleiben; manche auch in eine rein akademische Schreibweise abgleiten. Als Ausnahmen kann man hier vielleicht die Beiträge von Stefan Kalmring und Ahmed Schah benennen. Einzelne Beiträge sind zwar angereichert auch mit anderen linken Theorieaspekten als nur Marx und Adepten (Adorno, Gramsci etcpp.), aber insgesamt wirkt es doch sehr homogen von der Positionierung her. Es spiegelt einen gewissen linken Mainstream, aber es wird zu wenig der Versuch unternommen, aus der eigenen Filterblase herauszutreten und etwas Neues zu starten bzw. andere nicht-marxistische Ansätze zu integrieren. Kurz gesagt, mir fehlt in jenem Sammelband ein Stück weit der linke Pluralismus und auch eine innovative linke Positionierung zu jenem wichtigen Gesellschaftsbereich, der sich eigentlich aus dem erklärten Ziel in der Einleitung ergibt. Es ist ein guter Sammelband, aber er schöpft seine Potentiale nicht völlig aus.
Maurice Schuhmann
Marcus Hawel / Stefan Kalmring (Hg.): (Ohn-)Macht überwinden. Politische Bildung in einer zerrissenen Gesellschaft, Verbrecher Verlag Berlin 2024, 315 S., ISBN: 978-3-95732-587-7, Preis: 24 €.