Ditfurth schildert Herkunft und Weg der beiden Probanden. Und diese
Wegschilderung ist zu gleich ein Fenster in die Zeit vor 1968, in die
Wege und Abwege der Politik in BRD und DDR (aus der Dutschke ja kam).
Die Notwendigkeit der Rebellion von Achtundsechzig (keine Jahreszahl,
sondern ein historisches Etikett, übrigens), wird dabei dem Leser
ebenso bewusst, wie ihm bewusst wird, welche Kräfte mit einem geradezu
ungezügelten Gewaltpotential versuchten, das Aufbegehren zu
unterdrücken. In diesem Zusammenhang darf auch ich nicht versäumen, an
den Todesschuß auf Benno Ohnesorge ebenso zu erinnern, wie an den
Essener Blutsonntag vom 11. Mai 1952. Und natürlich darf ein Hinweis
auf die Schüsse gegen Rudi Dutschke nicht fehlen, die ein, durch die
Berichterstattung der Boulevardpresse aufgestachelter Hilfarbeiter
abgab. Aber natürlich beschränkt sich Ditfurths historische Darstellung
nicht auf diese schweren Ereignisse. Sie vergisst auch jene nicht, die
unterhalb von Schüssen und Todesopfern liegen, wenn ich so sagen darf.
Ihr Buch also ist wertvoll in der laufenden Auseinandersetzung um die
Bewertung der Ereignisse zwischen 1963 und 1969 und all jenem, was zu
ihnen führte. Auch deshalb, weil sie interne Diskussionen im SDS ebenso
wenig auslässt, wie Entwicklungen rund um „Konkret“. Sie bietet uns ein
Gesamtbild auf die Verhältnisse.
„Rudi und Ulrike“ sind allerdings auch gut geschrieben. Man kann, so
man Zeit hat, die etwas mehr als 200 Seiten Text in einem Stück
herunter lesen. Da gibt es keine Längen. Das liest sich wie ein Krimi
und eigentlich ist es auch einer: Die Krimi-Dokumentation von
Kapitalherrschaft und Skrupellosigkeit.
Wer erinnert sich daran, dass Politiker ganz offen „Blut fließen
lassen“ wollten? Dass es bei der Anti-APO-Demonstration des Berliner
Senats (Bürgermeister: Schütz, SPD) beinahe zu einem Lynchmord an einem
Teilnehmer gekommen wäre, der wie Rudi Dutschke aussah und wer weiß
schon, dass jene, die mehr oder weniger unverhüllt zur Lynchjustiz
aufriefen, heute in ehrendem Andenken in ihren Parteien bewahrt werden.
Wer weiß schon, dass Taxifahrer in Berlin Dutschke jagten um ihn zu
erlegen und dass sich „ordentliche“ Bürger nicht scheuten, Gaskammern
für Gammler, Penner und Rote zu fordern?
Achtundsechzig war, trotz späterer Karrieren, Verrate, Seitenwechsel,
eine Befreiung von verbliebenen offenen Faschismus – nicht nur in den
Köpfen. Die NPD erreichte 1969 4,3 % bei den Bundestagswahlen, sie saß
in Landtagen und bei der Wahl in Baden-Württemberg erhielt sie 9,3 %
der Stimmen. Ihre Mitgliederzahl war auf 60.000 gestiegen. In der CDU
gab es Schwadronen von ehemaligen Nazis und in der SPD war man damit
beschäftigt unter der Losung „Mehr Demokratie wagen“ die Berufsverbote
vorzubereiten. Die Realität in der BRD schrie nach Veränderung. Jutta
Ditfurth ist es zu danken, mit diesem Buch in Erinnerung zu rufen, was
die Wirklichkeit war – die es trotz aller postmodernen Nebelkerzen
tatsächlich gibt.
Rudi und Ulrike – Jutta Ditfurth
Droemer – ISBN-13: 978-3426274569
Euro 16,95