Bekenntnisse eines Autors

von Jan Oldenburg, Belém do Pará

aus dem Niederländischen von Peter H. E. Gogolin

Würde gern meinen Kopf in die Luft blasen. Herman Brood1 voll auf die Ohren. Hab leider keinen Catuaba2 zur Hand, um die Kopfmasse mit einem Schlag zum Kochen zu bringen. Morgen, oder so, gehe ich eh nach Benevides3, um mir dort ein bisschen Skunk4 zu besorgen. Das Fieber, das seit einer Woche durch meinen Körper rast, reicht mir nicht aus. Warum um Himmelswillen habe ich wieder angefangen zu schreiben? Als hätte ich nicht gewusst, dass es mich meinen Kopf kosten würde. Das tut es nämlich immer. Einfaches Schreiben ist anscheinend nichts für mich, aus irgendeinem Grund, den ich unmöglich ergründen kann, muss mein Schreiben immer auf Kosten des Seelenfriedens gehen. Ich schreibe stundenlang, überspringe glücklich die Nächte und ziehe dann tagsüber wie ein Geist durch die Straßen der Stadt.

Jemand, der bei klarem Verstand ist, sagte mir, es wäre besser, wenn ich aufhören würde. Hör auf, mach einen kalten Entzug. Aber das ist nicht mehr möglich. Jetzt, da ich wieder angefangen habe, muss die Scheiße aus meinem Körper raus. Und das geht nicht anders, als durch das Schreiben. Die ganze Sauerei auf einmal, das wäre schön. Der kleine Krimi, der kein Krimi wird, aber trotzdem am Wettbewerb teilnimmt. „Tinte auf Papier“ – meine Gedanken fröhlich herumtrotten zu lassen, das ist das Einzige, was mir noch ein wenig Freude bereitet. Mal sehen, ob ich heute Abend einen doppelten Rittberger daraus machen kann. Und dann auch noch einen Blumenstrauß für Maria am Weltfrauentag bereithalten. Außerdem habe ich mit diesem Brief angefangen. Dummer Kerl, der ich bin. Statt weniger wird es einfach immer mehr. Kein Haar auf meinem Kopf denkt ans Aufhören. Ruß im Essen – nur wenn das Fleisch verbrannt ist, sonst nicht.

Warum habe ich wieder angefangen, frage ich? Aus Feigheit oder aus Größenwahn oder aus einer seltsamen Mischehe von beidem. Ein Stück Text, das in einer Gruppe ins Internet gestellt wird, um zu zeigen, dass ich wirklich selbst mit Buchstaben und Wörtern umgehen kann und nicht nur die Texte verschrotte, die andere weglegen. Natürlich musste mich prompt jemand aus der Gruppe fragen, ob mein Text als Manuskript gedacht sei. Und ich sagte ja, weil ich zu feige war zu erklären, dass ich kaum noch schreibe. Um nicht wieder den Kopf zum Kochen zu bringen, natürlich.

Aber es ist passiert.

Wieder einmal greift in diesem Leben die Halluzination die grauen Zellen an. Einmal mehr werden die Fiebervisionen zu Papiermonstern, die auf mich warten, die ohne mich nicht lange leben können. Beim Schreiben gehe ich durch ein brodelndes Delirium, ein Höllenloch, das mir ein Vergnügen bereitet, das ich nur mit erotischen Zuckungen vergleichen kann. Wieder Maria, die unaufhörlich durch meine Lenden rauscht.

Und es wurde Nacht und es wurde Tag, der Tag der nächsten Nacht und Gott sah, dass die Massen knapp unter dem Siedepunkt waren. Alles war gut, der Himmel war blau, bis die tropische Sintflut um genau drei Uhr nachmittags alle sichtbaren Wege zerstörte. Was tue ich? Am Faden ziehen – den Wort-Tampon aus der Scheide herausziehen und mich damit verletzen. Selbstgeißelung, eine skurrile Angewohnheit. Sicher, mein Schreiben ist ein Akt der Selbstbefleckung, aber das macht nichts, denn mit einem schönen Waschpulver geht das ziemlich leicht weg. Wie weiß meine Hemden sein können! ‘But, he can’t be a man ’cause he doesn’t smoke the same cigarettes as me… I can’t get no satisfaction’ – – zumindest verstehen die Rolling Stones meiner Ansicht nach, wovon ich rede. Aber das ist auch gut so, denn ich selbst bin etwas verregnet.

Damit ist es an der Zeit, das Delirium wieder in Tinte zu tauchen und diesen Text zu beenden.

* * *

Jan Oldenburg, 1959 in Delft geboren, widmet sich der Literatur, seit er als Kind sein erstes Buch bekam. Es gab kein Buch in der kleinen Bibliothek seines Vaters, das er nicht mit einer Aufmerksamkeit las, die ihn sogar die Übersetzer schätzen ließ. Ein Studium des Literarischen Übersetzens an der Universität von Amsterdam und Kurse in diesem Bereich an verschiedenen europäischen Universitäten waren eine logische Konsequenz. Die Korrespondenz mit einem bekannten Übersetzer brasilianischer Literatur führte zu seiner Migration in die Amazonasregion, wo er seit 2006 lebt und arbeitet. Seine Erfahrungen als Einwanderer, der gerade am Anfang stand, verarbeitete er in „Boêmio“, einer auf Portugiesisch verfassten Autobiografie, die er derzeit in „Tinte auf Papier“ überarbeitet. Er hat Übersetzungen der Werke moderner brasilianischer Dichter veröffentlicht, die er auch betreut. Oldenburg unterstützt zudem niederländischsprachige Schriftsteller bei ihrer kreativen Arbeit.

1 Hermanus Brood: geboren 5. Nov. 1946, verstorben 11. Juli 2001, ein niederländischer Blues- und Rockmusiker, der bei seinen Fans Kultstatus besaß, zugleich auch Maler, Schauspieler und Lyriker. Bekannt für seine Drogensucht und ein zügelloses Privatleben. Er war zeitweilig mit Nina Hagen liiert und beging mit 54 Jahren Selbstmord, indem er sich vom Dach des Amsterdamer Hilton-Hotels stürzte.

2 Catuaba: eine Droge, die in Brasilien u.a. als Aphrodisiakum eingenommen wird. Catuaba gilt als pflanzliches Viagra und Antidepressivum. Kann im Tee, doch auch in Alkohol gelöst eingenommen werden. Jan Oldenburg meint hier eine Art Kräuter-Gin.

3 Benevides: Gemeinde im brasilianischen Bundesstaat Pará. Der Ort gilt als „Wiege der Befreiung“, da hier 1884 die ersten Freiheitsbriefe für Sklaven in Pará unterzeichnet wurden. Jan Oldenburg verbindet diesen Umstand möglicherweise mit dem Gedanken, in Benevides den Kopf frei zu bekommen.

4 Skunk: Eine der drei gebräuchlichen Cannabis-Sorten. Haze, Skunk und Kush.

 

Nachwort zu Jan Oldenburgs »Bekenntnisse eines Autors«

 

Im Frühjahr 2012 begegnete mir Jan Oldenburg auf einem Amazonas Dampfer, wir waren unterwegs nach Belém do Pará, dem Bethlehem, das auf den Wassern schwimmt. Ich war froh, an Bord einen Europäer zu treffen, denn mein brasilianisches Portugiesisch war hundsmiserabel, und als sich herausstellte, dass er ein Niederländer war, da fühlte ich mich, als sei ich fast zu Hause angekommen, schließlich hatte ich zwischen meinem 16. und meinem 20. Lebensjahr immer wieder ganz und vorübergehend in Holland gelebt; vermutlich wäre ich dort geblieben, wenn mich der Militärdienst nicht zurückgezwungen hätte.

Ich kam aus Peru und er, wenn ich mich recht erinnere, aus Chile. Als ich fragte, weshalb er dort gewesen sei, sagte er nur, wegen einer Frau. Er machte wohl den Weg nicht zum ersten Mal, denn er kannte sich aus, half mir, mich an Bord zu orientieren, verhinderte, dass ich meine Hängematte an Deck ausgerechnet dort aufhängte, wo mich der tägliche Nachmittagsregen, der von Westen kam und das Schiff kurz nach 15 Uhr einholte, mit Sicherheit erwischen würde, und ja, er beschützte mich auch, was ich anfangs gar nicht bemerkte, vor anderen Passagieren und ihren möglichen Absichten. Denn er sah und hörte alles, vor allem auch das, was ich entweder gar nicht oder immer zu spät wahrnahm. Und, nicht zu vergessen, er hatte ein Messer in der Tasche, das er gezielt sehen ließ. Warum er das tat, fragte ich ihn, und er sagte, damit sie es wissen und ich es nicht benutzen muss.

Oldenburg war ein Globetrotter, einer von der Sorte, die eigentlich längst hätten ausgestorben sein sollen, ein Reisender, wie man sie nur noch in Büchern von Blaise Cendrars oder Henry Miller antrifft. Also kein Tourist, sondern jemand, der in der Welt unterwegs ist, nicht von A nach B, sondern immer weiter, und der dabei selbstverständlich sein ganzes Leben einsetzt. Und in seiner Bewunderung für die Frauen ähnelte er in der Tat einem Henry Miller. Man konnte sehen, dass zwischen den Frauen und ihm etwas vorging; da war keine, die ihn nicht bemerkte, wenn er vorbeiging. Vermutlich, weil sie instinktiv spürten, dass er jede von ihnen wollte. Miller war sowas wie sein großes Vorbild, denn er war natürlich auch ein Romantiker, glaubte an Liebe, Verlust, Verrat und Schicksal. Und natürlich schrieb er. Reisen, ohne zu schreiben, sagte er, geht das überhaupt?

Als wir in Belém, in der Baía de Guajará, an der Mündung des Rio Guamá, anlegten, wurde Jan mein Stadtführer. Ich wusste wenig von der Millionenstadt im Norden Brasiliens. Im Grunde kaum mehr, als dass Ernst Jünger in seinem wenig beachteten Reisebericht »Atlantische Fahrt« die Aufzeichnungen einer Brasilienreise veröffentlicht hatte, die ihn über die Azoren nach Belém, Recife, Sao Paulo, Rio de Janeiro und Bahia führte. Dazu kannte ich Hubert Fichtes Bücher über die synkretistischen Religionen Südamerikas. Mit anderen Worten, wie so oft in meinem Leben, war mein Wissen literarischer Art. Da tat ich gut daran, mich Jan Oldenburg und seinem Messer anzuvertrauen.

Aus unseren Streifzügen durch die Stadt und ihre Abgründe, auf denen Jan bei Tag und Nacht mein Vergil war, wurde später mein Roman »Der Mann, der den Regen fotografierte«. Er erschien im Frühjahr 2017.

An einem Tag vor meiner Weiterreise saßen wir in der Bar do Parc vor dem Teatro da Paz, und ich fragte, wann er in die Niederlande zurückkehren wolle. Während wir noch redeten, schrieb er auf einem Zettel etwas auf und reichte es mir dann. Es war ein Gedicht und hieß »Naar holland wil ik nooit meer terug«. Es wurde der erste Text, den ich von ihm übersetzte. Seither bin ich von der Qualität seines Schreibens überzeugt.

Holländischer Rasen

Nach Holland will ich nicht mehr zurück.
Mir reicht die Furcht vor winterlichen Weiden
Winterschmerzen und vereisten Türen
überfrorenen Zweigen, winterlichen Feldern
unterkühlten Seelen
Regenböen, Rauch aus Schornsteinen
vergessenen Gräbern auf verlassenen Friedhöfen
fein Seite an Seite, die Toten, Seite an Seite
wie Steine, wie Erde, wie Staub
vergessene Gräber, verlassene Kirchhöfe
Seite an Seite die Toten
wie Knospen, wie Staub
bis unter den Rasen.

Dass ich jetzt seine »Bekenntnisse eines Autors« übersetzt habe, hat seinen Grunde darin, dass der Text ein Eingangstor zu seinem autobiografischen Roman »Inkt op Papier« ist, der demnächst in den Niederlanden erscheinen wird. Ein faszinierendes Buch, in dem der Autor den Leser auf eine berauschende Reise durch seinen Verstand mitnimmt. Es ist, für mich, ein poetisch und sinnlich geschriebenes Meisterwerk, nicht weniger, ein Buch, als befände man sich während der Lektüre in einem unkontrollierbaren Traum. Und ich hoffe, dass ich es werde übersetzen dürfen, wenn es erscheint.

(c) Peter H. E. Gogolin