Der Poet Bob Dylan hat, zurecht, den Literaturnobelpreis erhalten. Zur Person des Empfängers ist nicht viel zu sagen, alles ist bekannt und nachlesbar, die meisten Leser werden die eine oder andere Scheibe aus Vinyl oder Polycarbonat, werden mp3-Files auf der Festplatte haben. Es wäre langweilig, eine weitere Betrachtung des Preisträgers und seines großen Werkes zu schreiben.
Interessanter ist es, dass die Reaktionen auf die Preisverleihung auch den Niedergang der Literaturkritik verdeutlichen – zumindest der deutschsprachigen. Denis Scheck, der sich durch die überzogene und peinliche Huldigung, ja: Zerlobung, des Romans „Die Toten“ von Christian Kracht selbst der Lächerlichkeit preisgegeben hat, findet die Entscheidung einen guten Scherz und fordert uns zum Mitlachen auf. Dem SWR antwortet Scheck auf die Mitteilung, er wische sich wohl die Tränen aus dem Gesicht während des Telefoninterviews: „Diesen Witz haben sie (die Jury der Schwedischen Akademie, Anm. d. Red.) in den 90er Jahren schon mal gemacht, als sie den italienischen Bühnen-Zampano Dario Fo auszeichneten. Und jetzt eben den Autor von „It ain‘t me Babe“. Da hat Bob Dylan den Nagel auf den Kopf getroffen. Er ist wirklich kein passender Kandidat für den Literaturnobelpreis. Ich glaube, sie wollten ihn eigentlich Donald Duck geben und hatten die Telefonnummer nicht.“
Es fällt schwer, den Mann nicht in einer Art und Weise zu beleidigen, die seinen Beleidigungen gegenüber angebracht wäre. Scheck hat sich, durch diese Antwort endgültig, aus dem Club der ernstzunehmenden Kritiker verabschiedet. Wer ernstlich den Lyriker, der Masters of War, With God on our side oder Hurrican geschrieben hat mit Donald Duck, also einer Comic-Figur vergleicht, ist geistig in hohem Maße marode. Wer Dario Fo, der am Tag der Preisverleihung neunzigjährig verstarb für einen „Bühnenzampano“ und die damalige Preisverleihung gleich der jetzigen für einen Scherz befindet, hat weder von der Sache über die er urteilen soll Ahnung, noch kann man ihn für voll nehmen. Scheck geistert als eine Art Farce von Literaturkritiker durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Das soll er gerne weitermachen. Man muss dann nur wissen: Das ist eben der Denis, der ist halt so, da sieht man drüber weg und die Sendezeit ist ihm eine Windel, er macht sie voll.
Die andere Kollegin aus dem Kritiker*innen-Club, die mir auffällig wurde, ist Sieglinde Geisel, die im SFR (Schweiz) zugleich dem Komitee vorwarf Dylan deshalb nominiert zu haben, weil er altersmäßig zu den Juroren passe, dann aber u.a. Präferenzen einräumt, die weit älter als Dylan gewesen wären: den auch von mir verehrten Philip Roth zum Beispiel oder John Ashbery. Der eine dreiundachtzig, der andere neunundachtzig. Soviel zur Stichhaltigkeit biologistischen Unsinns in Literaturkritik. Schuberts Winterreise führt die Kollegin dann an als ein Beispiel für ein Gedicht, das in die Musik ging; andersherum, so Geisel, hätte es nichts gegeben. Außerdem sei es da, bei der Winterreise, so, dass der Dichter vergessen sei, das Lied und der Komponist aber nicht. Sie nutzt das, um darauf hinzuweisen, dass man Dylan nach seinem Tod vergessen werde und das Werk keinen Bestand hätte. Das also ist das Niveau, auf dem da herumgekrochen wird. Dylans Werk werde vergessen werden, weil es Musik ist, wie man leicht am Werk Schuberts beweisen kann, das deshalb nicht vergessen sei, weil es Musik ist. Anzumerken wäre noch, dass es sich beim Dichter der Winterreise um Wilhelm Müller handelt, der zwar nicht die gleiche Berühmtheit wie Heine erlangt hat, jedoch — zumindest in den Kreisen der literarisch überdurchschnittlich Interessierten, also z.B. der Rezensenten — als Vorgänger Heines in vielfacher Hinsicht gilt und keinesfalls vergessen ist. Dylan sei auch, so Geisel, nicht mehr im Ereignishorizont der jetzigen Generation angesiedelt. Sie selbst, Geisel, ist einundfünfzig. Um das zu widerlegen reicht es die Chartplatzierungen des Albums „Tempest“ (2012) anzuführen. Es erreichte in den "Billboard Charts 200" (USA) Platz drei, in Deutschland Platz zwei und in Österreich Platz eins.
Nun sind die logischen und in der Handhabung des Arbeitsgerätes (also des Wissens, das ja das Arbeitsgerät des Kritikers ist) Lapsūs memoriae der Kollegin keinesfalls mit der Boshaftigkeit Schecks zu vergleichen. Geisels Einlassungen sind tragisch-komisch, Schecks hingegen von einer verachtenswerten Infamie. Auch deshalb, weil er zugleich Dario Fo, den großen italienischen Erzähler und Theaterautor, in einer Weise angeht, die nicht unwidersprochen bleiben darf und die sich, weil sie sich gegen das Gesamtwerk Fos richtet, auch nicht ohne die Abwertung der Person Schecks als Kritiker bleiben wird. Scheck hat sich zum Hanswurst der heimischen Literaturkritik herabgearbeitet.
Wir empfehlen auch folgenden Artikel von Ulf Kubanke: http://diekolumnisten.de/2016/10/14/der-nobelpreis-fuer-bob-dylan-ist-verdammt-verdient/
Foto von Denis Scheck: Elke Wetzig/CC-BY-SA
Foto von Bob Dylan: Alberto Cabello from Vitoria Gasteiz CC-BY-SA
Ich bin mit Sieglinde Geisel nicht verheiratet. Wie man auf ihrem Portal problemlos nachlesen kann, bewerte ich die Entscheidung des Preiskomitees auch deutlich anders – und die pöhse Geisel hats durchrauschen lassen. (Ich wäre allerdings, wenn man die Pop-Kultur schon auszeichnen will – was ich richtig finde – für eine Entscheidung pro McCartney/Ringo gewesen mit dem Zusatz, man müsse ja Lebende auszeichnen, die Auszeichnung verstehe sich aber auch als eine pro Lennon/Harrison). Aber gleichviel: Sieglinde Geisel war anderer Meinung. Ach so. Haben wir etwa Meinungsfreiheit?
Geisels analytisch operierende Kritik an der Entscheidung des Komitees mit Schecks kläglichem Gelalle ineins zu setzen empfinde ich als außerordentlichen Mißgriff. Dennis Scheck nimmt niemand mehr Ernst; spätestens seit seinem entsetzlich peinlichen, hündischen Gekrieche vor Kracht. Man muss Kracht und seine literarische Leistung ja regelrecht in Schutz nehmen vor dieser Vereinnahmung. Geisel aber hat das getan, was von der Literaturkritik zu erwarten ist: Sie hat ein Urteil gefällt (nicht meines, jedoch so what!) und es begründet! Kleiner Unterschied!
Und bevor mir hier irgend jemand dumm kommt: Ja, ich publiziere auf "Tell"; who cares. Bisheriger Gewinst: 0 Cent nullzig. Noch Fragen?
Sehr wahr! Der Wert eines Wortkünstlers, ob nun in Prosa oder Lyrik, mißt sich nicht nur an der gelungenen Form, sondern ob diese einen Inhalt getragen hat, der Menschen bewegt, ihr Denken anregt, ihr Handeln zum Wohl der anderen anstiftet, Emotionen spiegelt und wiederum schafft. Der Schreibende, der das, was ist, so verdichtet, daß man es erkennt, leistet alles, was man von ihm erwarten kann. Und wenn einer ein ethisches und politisches Bewußtsein mitgeformt hat, einer Zeit des Wandels, die ich als Teenager miterlebt habe, seinen Stempel aufgedrückt hat, dann ist der Preis vollkommen gerechtfertigt.