De VS warnt davor, Migranten zu Sündenböcken zu machen
Mit Unverständnis nimmt der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller die sogenannte »Erklärung 2018« zur Kenntnis, die von dem Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp und zahlreichen weiteren Autorinnen und Autoren unterzeichnet wurde. Es ist richtig, so die Vorsitzende Eva Leipprand, dass wir in aufwühlenden Zeiten leben, die zu vielerlei Ängsten und Verunsicherung führen. Die Art und Weise jedoch, wie die Erklärung 2018 die Schuld daran allein den Migranten in die Schuhe schiebt, ist unterkomplex und einer intellektuellen Auseinandersetzung nicht angemessen.
Soeben ist die Leipziger Buchmesse zu Ende gegangen. Die Initiative »#VerlageGegenRechts« hat auf dieser Messe beispielhaft gezeigt, wie man mit den drängenden Fragen unserer Zeit umgeht. Die offene Debatte wurde in den Mittelpunkt gestellt. Auf zahlreichen gut besuchten Veranstaltungen wurde dem Bedürfnis vieler Rechnung getragen, drängende Themen differenziert zu diskutieren.
Wie groß dieses Bedürfnis ist, hat auch der Zustrom zu der Debatte zwischen Uwe Tellkamp und Durs Grünbein in Dresden bewiesen. Dabei wurde deutlich: Schriftstellerinnen und Schriftsteller spielen wieder eine wichtige Rolle im öffentlichen Diskurs, der stark kulturell aufgeladen ist. Man erwartet von ihnen tiefere Erkenntnis und Orientierung. Für die radikalen Veränderungen in unserem Land, die uns alle beunruhigen, gibt es bekanntlich eine Reihe von Gründen. Die Globalisierung hat neben vielen Verbesserungen auch wachsende Ungleichheit hervorgebracht, viele haben Abstiegsängste.
Nach Jahren der Euphorie zeigt die Digitalisierung immer deutlicher auch ihre dunkle Seite. Der Facebook-Skandal lässt Marc Zuckerbergs Behauptung »We are going to make the world a better place« wie Hohn klingen. Überwachung, Manipulation, Missbrauch durch politische und ökonomische Mächte scheinen plötzlich Realität zu sein. Immer drängender steht die Frage im Raum: wie wollen wir in Zukunft leben?
Mit eben dieser Frage hat sich der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller im VS in den letzten Jahren intensiv befasst. Wir haben gegen TTIP demonstriert, für gerechten Welthandel und die Bekämpfung von Fluchtursachen, für kulturelle Vielfalt; wir haben gegen die übermächtigen Digitalkonzerne und ihren negativen Einfluss auf unsere Gesellschaft protestiert; wir haben auf die möglichen Folgen eines »Endes der Privatheit« hingewiesen, die Initiative »#VerlageGegenRechts« unterstützt und uns mit dem Projekt »Stimmen gegen Rechts« gegen rückwärtsgewandte nationalistische Strömungen gewandt. Als Schriftstellerinnen und Schriftsteller sehen wir unsere Aufgabe darin, unseren Beitrag zu leisten zu dem großen gesellschaftlichen Gespräch, das offen und differenziert zu führen ist.
Umso bedauerlicher ist es nun, wenn mit der »Erklärung 2018« Autorinnen und Autoren den eigentlichen Fragen ausweichen und die Debatte auf ein Phänomen reduzieren, das nur eine Facette und eher Folge als Auslöser der gesamten Krise ist, nämlich die Migration. Sie treffen damit die Schwächsten und machen sie zu Sündenböcken. Das löst kein einziges Problem und trägt zu weiterer gesellschaftlicher Spaltung bei.
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