Eine Gewalt- und Widerstandsgeschichte

Die Kulturwissenschaftlerin Iris Därmann, Professorin für Kulturtheorie und Kulturwissenschaftliche Ästhetik an der Humboldt Universität zu Berlin, unternimmt in ihrem Werk „Undienlichkeit“ nicht weniger als eine Gewalt- und Widerstandsgeschichte dienstbar gemachter Menschen zu schreiben. Sie thematisiert in diesem Rahmen auch explizit Körperpolitiken und Widerstandsformen. Einen Fokus setzt sie dabei auf die Legitimierung der Dienstbarmachung von Menschen, die sich häufig in Form von sexueller Verfügbarkeit ausdrückte, durch die europäische Philosophie. Als Referenzen hierfür dienen ihr u.a. die für ihre Vertragstheorien bekannten Philosophen Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau bzw. David Hume, aber auch Karl Marx, der bezüglich des Handels mit afrikanischen Sklav_innen einen blinden Fleck in seinen Theorien aufweist,und den Kronjuristen des sog. III. Reiches Carl Schmitt – auch wenn legitimatorische Konzepte bereits in der antiken, politischen Philosophie (z.B. bei Platon) zu finden sind. In Exkursen thematisiert sie u.a den Marquis de Sade und die BDSM-Subkultur. Ein verbindendes Element ist dabei die Peitsche, jenes Instruments der Versklavung. Vereinzelt finden sich auch Illustrationen wie z.B. William Blakes „Flagellation of a Female Samoe Slave“ (1796) zur Bebilderung des Geschriebenen.

Über die sexuelle Verfügbarkeit schreibt sie am Anfang ihrer Studie pointiert: „Die ware-rooms und auction blocks waren augenscheinlich und handgreiflich die ersten Peepshows der Welt, in denen Verkäufer, Käufer und Käuferinnen ihre Verfügungsgewalt an den versklavten Körpern hemmungslos auslassen konnten“ (12). Ein ebenfalls sehr spannender Aspekt ihrer Studie stellt die Markierung von Dienstbar-geachten Menschen in Form der Tätowierung dar. Sie stellt in diesem Kontext eine direkte Verbindung von der Tätowierung von Sklav_innen zu den mit ähnlich-markierten KZ-Insass_innen her. Über die Sklaverei selbst erklärt sie – die Verbindung zur Gegenwart: „Sklaverei ist die gewalttätigste und leidvollste Form der Dienstbarmachung von Menschen. Kaum eine Gesellschaft und Kultur hat auf Zwangsarbeit, auf sexuelle Ausbeutung und auf den Handel mit Menschen verzichtet. […] Die moderne Sklaverei bildet die Rückseite der heutigen Dienstleistungsgesellschaften“ (33).

Die Widerstandsformen dagegen nahmen ganz unterschiedliche Praktiken ein – von Verhüttungen und Abtreibungen, über Selbstverstümmelungen und Suizide bis hin zu gewaltsamen Widerstand entflohener Sklav_innen. Sie wurden erstmalig in den 1940er Jahren zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, wie Därmann bemerkt. Über den Widerstand an sich schreibt die Autorin: „Menschen lassen sich nicht nicht rest- und widerstandslos durch Gewalt dienstbar machen. Die Gewalt, die sie ‚zwingt, beugt, bricht, zerstört‘, ist niemals absolut und vollkommen effizient. Widerstände des Sich-Undienlich-Machens und body politics des Undienlich-Werdens bilden Fetzen humaner Insistenz, hinterlassen Bilder, Zeichen und Spuren einer ‚bleibenden Gemeinschaft‘, die ihre Lesbarkeit nicht verloren haben“ (36).

Därmann ist mit „Undienlichkeit“ eine sehr wichtige und darüber hinaus sehr gut lesbare Studie gelungen, die durch die Fülle an interdisziplinären Bezügen besticht.

Maurice Schuhmann

Iris Därmann: Undienlichkeit. Gewaltgeschichte und politische Philosophie, Matthes & Seitz Verlag Berlin 2020, ISBN: 978-3957578747, 510 S., Preis: 38€.