Deutschlands misslungene Entnazifizierung

Der Journalist und Buchautor Niklas Frank hat sich bereits mehrfach intensiv mit der nationalsozialistischen Vergangenheit seiner eigenen Familie publizistisch auseinandergesetzt („Der Vater. Eine Abrechnung“, „Meine deutsche Mutter“, „Bruder Normann“). Sein Vater war Generalgouverneur vom besetzen Polen und war in seiner Funktion an einer Reihe von Kriegsverbrechen beteiligt, was seine persönliche Betroffenheit und sein gesteigertes Interesse an der Aufarbeitung jener Zeit erklärt.

In seiner aktuellen Publikation „Dunkle Seele, feiges Maul“ setzt er sich mit der (misslungenen) Entnazifizierung in Deutschland nach 1945 auseinander. Hierfür hat er fünf Jahre lang wahllos Entnazifizierungsakten aus Archiven unterschiedlichen Bundesländern durchforstet – sowie mit denen von ein paar prominenten Fällen wie dem von seiner Mutter Brigitte Frank, der Witwe Görings Emmy oder dem des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Dr. Dr. Gustav Heinemann ergänzt. Seine erschütternden Ergebnisse hat er in einem dicken Wälzer von knapp 600 Seiten zusammengefasst. Es handelt sich z.B. um den Fall von Franz Spahn, über den er unter der Überschrift  „sprachlos machende Spruchkammer“ schreibt:    

„Sein von männlichem Freimut und guter geistiger Schulung zeugende Auftreten musste das Gericht anerkennen. Man sieht ihm seine gute innere Haltung an, befand die Spruchkammer am 15. Februar über den früheren SS-Sturmbannführer Franz Spahn, Himmler-Freund und Landesgruppenleiter der NSDAP von Japan und Mandschukuo. Mit männlichen Freimut hatte er auch das KZ Dachau besucht und sich anschließend sehr zufrieden gezeigt: ‚Die Verpflegung ist gut und die Unterkünfte und sanitären Einrichtungen sind einwandfrei.’“ (S. 410).

Hier wie in anderen Fällen bleibt ihm häufig nur noch der Zynismus, wenn er darüber sprechen und schreiben will. Anders kann man sicherlich nicht diese Funde bewältigen. Bereits im Vorwort schreibt er resümierend:

„Ihre (= Die an den Verhandlungen der Entnazifizierung Beteiligten) Art zu argumentieren und sich zu verteidigen, ermöglichte mir eine Erkenntnis, die Gänsehaut macht: Von der missglückten Entnazifizierung führt ein direkter Weg zu jener klammheimlichen Freude, mit der heute die schweigende Masse der Deutschen jeden Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkünfte begleitet.  (…) Beide Deutschlands haben eine große Chance vertan. Ein durch seine beispiellosen Verbrechen herausragendes Volk hat sich nach dem Krieg eine von Altnazis durchsetzte Politik, Justiz, Lehrerschaft und feige Kulturschaffende geleistet, die alle zusammen lieber ‚nicht daran rühren’ wollten“ (S. 8)

Dies mag vielleicht auch der Grund dafür sein, dass er kein eigenes Fazit mehr zieht sondern mit einem Fall das Buch beendet. Der Inhalt ist erschreckend und schwer verdaubar – und nach spätestens der Hälfte auch ermüdend. Hier wäre manchmal weniger mehr gewesen. Dennoch beweist der Autor, auch wenn er wiederholt Wikipedia konsultiert, das Gespür für das Vertrauen in die Institutionen erschütternde Fälle. Es ist auf jeden Fall ein wichtiger Beitrag über ein ebenfalls dunkles Kapitel der deutschen Vergangenheit, was die Geschichte der alten Bundesrepublik geprägt hat und bis heute seine Auswirkungen zeigt.

Maurice Schuhmann

Niklas Frank: Dunkle Seele, feiges Maul. Wie absurd, komisch und skandalös sich die Deutschen beim Entnazifizieren reinwaschen. Dietz, Bonn  2016, 579 S.; Preis: 29,90 €, ISBN: 978-3801204051.


Anmerkung: Die Rezension erschien ursprünglich in der Beilage Libertäre Buchseiten der Graswurzelrevolution.