Der Titel „Gefährliche Freiheit“ in Verbindung mit dem Untertitel „Ursprünge der radikalen Demokratie“ wirkt paradox und befremdlich. Wie kann eine „radikale Demokratie“ gefährlich sein?
Eine direkte Antwort auf diese Fragen sucht man vergeblich in der umfangreichen Dissertation von Martin Oppelt. Nach einer knappen Einleitung beginnt der Hauptteil seiner Arbeit mit der Diskussion um die „Diskursive Verbindung“ des Schweizer Philosophen Jean-Jacques Rousseau und des in Deutschland wenig rezipierten französischen Marxisten Claude Lefort. Es folgt dann jeweils ein Kapitel über den jeweiligen Theoretiker sowie ein daraus resultierendes Fazit. Die beiden von Oppelt miteinander konfrontierten Denker haben aber auch einen mahnenden Impetus. „Beide, Rousseau wie die RadikaldemokratInnen im Anschluss an Lefort, erinnern zudem die liberalen Demokratien an ihre nicht eingelösten demokratischen Versprechen der Gleichheit und Volkssouveränität, beide fordern deren Demokratisierung im Sinne der Ausweitung demokratischer Gleichheit auf alle gesellschaftlichen Bereiche und politischen Institutionen.“ (S. 22). Direkte Bezugnahmen auf Rousseau im Werke Leforts benennt der Autor nicht. Stattdessen heißt es auf Seite 76: „Es verwundert nach dem oben gesagten schon sehr, dass Lefort Rousseau gerade vor dem Hintergrund seiner Beschäftigung mit den theoretischen wie praktischen politischen Analysen des Totalitarismus mit keinem Wort erwähnt.“ Es gibt aber bereits ein paar Arbeiten, die den Vergleich beider Denker durchexerzieren wie die 2014 erschienene Arbeit „Gefährdende Demokratie“ von Tobias Maier. (Da hat wohl ein Lektor oder der Autor selber bei der Titelwahl nicht gut genug recherchiert….). Als sein Forschungsinteresse benennt Oppelt: „Vorliegende Arbeit sieht in der Demokratie- und Totalitarismus-Theorie Claude Leforts daher eine Möglichkeit einer alternativen Rousseau-Interpretation angelegt“ (S. 94). Wozu diese Lesart alternativ stehen soll, bleibt leider das Geheimnis des Autors. Wegen der fehlenden direkten Bezüge interpretiert er Leforts Aussagen, die er mit dem Denken von Rousseau in Verbindung setzt (vgl. z.B. S. 180f.), als mit Rousseau vereinbar. Mehr nicht.
Den gegenwärtigen Diskurs der radikalen Demokratie fokussiert er dabei auf „ein(en) postmarxistisch(en) (und poststrukturalistischen) informierte(n) Diskurs“ (S. 130). Diesen stellt er in einem Unterkapitel näher dar (S. 130-139), worin er seine Stärke hat.
Die beiden anschließenden Kapitel über Lefort und Rousseau sind zwar gut lesbar und vermitteln u.a. einen Eindruck von der Entwicklung Leforts Denken (S.187-216), aber hier wäre gerade im Lefont-Kapitel eine stärkere Fokussierung auf die eigentliche Fragestellung wünschenswert gewesen. Die Lesart Rousseaus, die er unter vereinzelten Rückgriffen auf Lefort präsentiert, bietet leider nichts Neues. Es ist bekannt und unumstritten. Die Anknüpfungspunkte zwischen beiden Autoren sind größtenteils ziemliche Allgemeinpositionen, die man auch bei anderen Denker*innen hätte wiederfinden können. Somit verkommt die Arbeit in einer gewissen Beliebigkeit. Zudem erscheint mir der von ihm präsentierte Aufbau wird die Problemstellung nur eingeschränkt sinnvoll zu sein.
Der Autor beweist, dass er sich gut in seiner Materie – „radikale Demokratie“ auskennt, aber leider nicht mehr. Er geht souverän, wenn auch in Bezug auf Rousseau relativ sparsam, mit der Literatur um. Ein Aspekt, der sich mir als Leser aber nicht erschlossen hat, ist die Relevanz seiner Untersuchung. Die Auswahl der hier zum Vergleich herangezogenen Autoren entbehrt einer näheren Begründung. Bezüglich der Rousseau-Forschung bringt die Arbeit nicht unbedingt neue Erkenntnisse. Seine Darstellung der Rousseau’schen Philosophie, die zugegebenermaßen bereits sehr abgegrast ist, ist seiner Fragestellung gemäß schlicht gehalten. Eine alternative Rousseau-Interpretation anhand Leforts zu finden, misslingt völlig. Dies ist alleine schon wegen der fehlenden Äußerungen Leforts über Rousseau ein fragwürdiges und schwieriges Unternehmen gewesen. Leider kann diese Arbeit daher nicht überzeugen.
Dr. Maurice Schuhmann