Biographie einer Migrantengeneration
Der autobiographische Roman „Wir Strebermigranten“ der 1983 geborenen Journalistin Emilia Smechowski ist ein Porträt der Generation von polnischen Migranten und ihrer Kinder und Westberlin, die in den 80er in die Bundesrepublik übersiedelten. Den (polnischen) Blick auf Westberlin beschreibt sie wie folgt:
„Die sauberen Straßen beeindrucken meine Mutter. Sie sahen aus, als wären sie gerade feucht gewischt worden, als könnte man auf sie setzen, ohne Flecken zu befürchten. Für Polen, die aus dem Sozialismus kamen, war Westberlin damals was für Westberliner wohl Disneyland war. Eine reine, bunt blinkende Welt.“ (S. 39).
In jene bunte, blinkende Welt tauchten sie ein – und versuchten sich zu integrieren – ohne aufzufallen. Dies spiegelt sich in ihrer Generation wieder. Ihre Generation beschreibt Sie wie folgt: „Meine Generation, Anfang dreißig, die im Kindesalter mit ihren Eltern eingewandert war. Top integriert, erfolgreich. Sie waren fast deutscher als die Deutschen. Ich war wie sie.“ (S. 22).
Die Bezugspunkte für die eigene Identität waren dabei neben den Eltern, die versuchten ihre Abstammung zu verheimlichen, die deutschen Mainstreamgesellschaft sowie Migrant*innen aus anderen Teilen der Welt, auf die man etwas abschätzig blickt.
Meine Schulklasse bestand aus Ausländer und Deutschen. Ausländer, das waren Araber, Jugoslawen, Italiener und Türken. Deutsche, das waren Polen, Weißrußen, Russlanddeutsche und klar, Deutsche natürlich auch. (…) Meine Mutter tolerierte meine neuen Freunde. Aber es war klar, was sie dachte: Wir waren besser als die.“ (S. 94)
Sie reflektiert aber auch die Verdrängung der eigenen, polnischen Wurzeln, die sich aus der Integration ergeben hat.
„Als ich im Deutschunterricht saß und der Lehrer mich entsetzt anstarrte, wurde mir klar: Keiner hier weiß, wer du wirklich bist. Und wusste ich es eigentlich? Hatte meine erfolgreiche Assimilation auch nur das kleinste bisschen der Polin in mir übrig gelassen? Zum ersten Mal fühlte sie sich falsch an, diese Mutation zur Turbodeutschen.“ (S. 161).
Sie gibt damit einer Generation von Migrant*innen eine Stimme und holt sie aus der Unsichtbarkeit heraus. Gleichzeitig regt die Geschichte aber auch zur Reflexion an. Ein sehr lesenswertes und wichtiges Buch.
Maurice Schuhmann
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