Ich kenne kaum genug seiner literarischen Arbeit, um mit seinem Werk zu tun, was ich mit Werken nie mache: Sie einzuordnen. Und ich bin recht großzügig mit den Ebenen. Mir scheint aber – kürzlich las ich wieder „Jungen, die übrig blieben“ an und werde es auf http://literaturglobe.de rezensieren, wenn ich es zum zweiten Male ganz gelesen habe –, Erich Loest auf jenes Plateau zu gehören, das dem Gipfel schon zugehörig ist. Da war viel Großes in seiner Literatur, so sehr Großes, dass es den Gipfel, den Höhenzug, ohne Mühe stürmt.
Erich Loest gehört zu dem Besten, was deutschsprachige Literatur im ausgehenden zwanzigsten und beginnenden einundzwanzigsten Jahrhundert zu bieten hat. Die Vergangenheitsform muss unterbleiben: Erich Loest ist gestorben, seine Werk aber ist nicht tot.
Ich habe politisch nicht viel gemein mit Erich Loest gehabt. Ich sehe die Welt mit einem ganz anderen Blick. Und doch gibt es Überlagerungen im Bereich der Freiheit des Wortes, der individuellen Freiheit, der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Da treffen wir uns, auch wenn die Gründe für diese Freiheitsnotwendigkeiten bei mir andere sind, als bei ihm. Mir ist die Freiheit des Wortes eine unabdingbare Notwendigkeit, die Entwicklung der Menschheit, also des Kollektives, sicherzustellen, mir ist die individuelle Freiheit eine Nezessität, gesellschaftliche Freiheit zu schaffen und die freie persönliche Entfaltung ist mir Erfordernis für eine freie soziale Perspektive. Ich vermute, mein dialektischer Ansatz, wäre nicht Erich Loests Freiheitskonzept gewesen. Das ändert jedoch nichts daran, dass wir uns da treffen. Seine Kritik an der DDR, an den sozialistischen Staaten insgesamt ergo, muss man nicht nur aushalten können, man muss sich selbst auch in die Pflicht nehmen, die empfundene Realität, die Loest so oft geschildert hat, mit dem Empfinden von Realität abzugleichen, welches man selbst hat. Dabei muss man, sonst kommt kein brauchbares Ergebnis zustande, auf idiosynkratische Verhaltensweisen verzichten. Die eigenen Fehler zu erkennen, ist der wichtigere Teil der allgemeinem Fehlererkennung.
Erich Loest ist nicht käuflich gewesen, nicht überredbar, nicht durch ein Meritum einzufangen. Er war verlässlich in seinen moralischen, ethischen und politischen Werten. Er war folglich als Mensch valid. Aus dieser Haltung heraus schrieb er. Und da literarisches Schreiben mehr ist, als die Illusion einer Wirklichkeit zu schaffen, also Fiktion zu produzieren, die sich als Realität ausgibt, ist die Schöpfung von Werken, auf ein verlässliches Fundament angewiesen. Eines, dass das literarisches Werk tragen kann, das kräftig ist und bewehrt. Erich Loest hat über ein solches Fundament verfügt. Ein großer Literat ist von uns gegangen. Das Werk bleibt.
Foto: E. S. Myer