„Die RAF hat Euch lieb“
„Die RAF hat Euch lieb“ hiess es in einem Brief von Ulrike Meinhof aus dem Gefängnis an ihre Zwillingstöchter. Bettina Röhl, eine jener beiden Töchter, hat diesen Titel gewählt, um auch eine Abrechnung mit ihrer Mutter und ein gutes Stück weit auch mit dem Mythos RAF zu verfassen. In gewisser Hinsicht ist sie in die Fussstapfen ihrer Eltern getreten – des konkret-Herausgebers Klaus Röhl und der konkret-Kolumnistin Ulrike Meinhof – wenn auch in einem anderen Dunstkreis (Tempo, Stern, Cicero, Bild) geworden und fing nach eigenen Angaben bereits 1996 an, für das Buch über ihre Familiengeschichte zu recherchieren. Sie hat mit etlichen Zeitgenossen und Akteuren Interviews geführt – sei es mit dem grünen Urgestein Christian Ströbele und dem nach rechts gewendeten Horst Mahler, die mit ihrem Sozialistischen Anwaltskollektiv die RAF verteidigten, Otto Schily Leuten aus der RAF und der Bewegung 2. Juni, den Verleger Klaus Wagenbach, der ein Stück weit die Baader-Befreiung ermöglichte, sowie 68er Akteurinnen wie Claudia von Alemann (feministische Regisseurin). Es ist eine beachtliche Zahl von prominenten Akteur*innen, die sie zu Wort kommen läßt, was ihre Thesen stützt. Zudem legt sie eine Reihe von privaten Briefen sowie Korrespondenzen mit den Anwälten vor.
Die eigene Familiengeschichte aufzuschreiben – gerade wenn man eine umstrittene Mutter wie Ulrike Meinhof hat – erfordert sehr viel Kraft und verlangt den nötigen Abstand von der eigenen Familie. Mit einer sicherlich nachvollziehbaren Enttäuschung schreibt sie u.a. über ihre Mutter: „Meinhof hatte von unserer Geburt an ein Problem mit ihrer Mutterschaft, was sie in den frühen Sechzigerjahren gegenüber Freunden selbst ausgesprochen hatte. Dieses versuchte sie geschickt vor sich selbst und der Welt zu kaschieren, indem sie in ihrem Umfeld unendlich viel über ihre Kinder, die so oder so oder anders wären, und abstrakt über Kindererziehung erzählte und dozierte.“ (291). Auch ihr Vater bekommt reichlich sein Fett weg. Es liest sich partiell wie eine Abrechnung mit ihrem eigenen Familienbackground, den sie allerdings auch partiell generalisiert und auf die 68er Generation an sich überträgt. Weitgehend gelingt es ihr dennoch, sich emotional etwas zurückzunehmen, auch wenn – verständlicherweise – hier und da diese Emotionen durchscheinen.
Ihr historisch-biographisches Buch „Die RAF liebt Euch“, das zweite Buch von ihr über die linke Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland, befördert wenig Neues an den Tag, aber sie zeichnet ein kritisches Gesellschaftsbild, was im Gegensatz zur häufig auftretenden Glorifizierung der 68er ernüchternd wirkt – und sie zeichnet ein Bild von ihrer Mutter als (politische) Person jenseits der Ikonographie. Ihr Buch fokussiert die Jahre zwischen 1968 und 74, d.h. ausgehend von der 68er Revolte („Auf dem Höhepunkt von 68“), über die daraus entstehende RAF bis zum „Selbstmord“ von Ulrike Meinhof.
Die Studie ist etwas zwiespältig. Sie bietet sich einen kritischen Blick auf einzelne Aspekte der linken Geschichte, die von vielen gerne übersehen werden oder mit einer rosa-roten Brille betrachtet werden. Gleichzeitig sind mehrere Aspekte sicherlich auch kritikwürdig und stellen eine ideologisch und emotional geprägte Sichtweise der Situation dar. Problematisch erscheinen mir diverse Verallgemeinerungen, die sie in Bezug auf die Erfahrungen vornimmt und auf die „68er“ an sich projeziert.
Maurice Schuhmann
Bettina Röhl: „Die RAF hat Euch lieb“. Die Bundesrepublik im Rausch von 1968, Heyne Verlag München 2018, 640 S., Preis: 24 €, ISBN; 978-3-453-201050-7.