Oder: Wie lange erträgt eine linke Partei Selbstheiligung?

Wir befinden uns, nicht zum ersten Male in der Geschichte, in einem Kulturkampf, der von rechtsradikalen Kräften begonnen wurde. AfD, NPD, Pegida und Konsorten versuchen, in die Mitte der Gesellschaft zu wirken, wollen dorthinein ihre Ideen eines rückwärtsgewandten völkischen und chauvinistischen, auf die völkische Nation als Ziel und Weg zugleich bezogenen Staates zu exportieren. Man will die Deutungshoheit über die Begriffe Nation, Heimat und Volk. Und man will diese Begriffe völkisch, nationalistisch und rassistisch besetzen. Deutschland soll auferstehen, sich erheben, erwachen. Eine Rhetorik die weder neu noch unerwartbar ist.
Der Vorwurf des Volksverrates, ja des Volksmordes durch humanistisches Handeln stellt den Kern dieses Denkens deutlich zur Schau.
Der Hauptanteil der neuen handelnden Personen kommt aus der Mitte der Gesellschaft und dürfte, will man es historisch konnotieren, den Schichten entsprechen, die den Austrofaschismus getragen haben. Viele Wähler aber kommen aus den abgehängten Schichten der Gesellschaft: Hartz-IV-Empfänger, die vor den Schreibtischen staatlicher Drangsalierungsanstalten gedemütigt werden, Arbeitnehmer die auch mit zwei Jobs nicht genug zum Leben verdienen.
Der Kulturkampf hat aber auch die Künstler und Intellektuellen erreicht. Tellkamp, der sich schon mit dem Roman „Der Turm“ als Sachwalter eines überheblichen, nationalkonservativen Bürgertums geoutet hat, hat in der Diskussion mit Durs Grünbein sich selbst als Prototyp eben jenes nationalkonservativen bis rechtsradikalen Bürgertums auf die Bühne Dresdner Kulturpalastes gestellt. Die Fraktion der AfD im Bundestag ist voll mit dieser Art gutbürgerlicher Brandstifter. Philosophen sind darunter, Finanzfachleute, Lehrer, Rechtsanwälte, Dozenten. Es ist ein Abbild verwilderten Honoratiorentums. Und diese Honoratioren sind gefährlich. Weil es nicht mehr die schlecht gebildeten, die unwissenden, die keiner Diskussion gewachsenen Horden sind, die den Kern der neuerlichen völkischen Erhebung bilden, sondern jene, die in der Gesellschaft leichtfertig Leistungsträger genannt werden.

Man dürfte von der Linken, wie von der LINKEN, nun erwarten, dass sie diesen Kulturkampf aufnimmt. Weil sie wissen müsste, dass die Revolte von Studenten und jungen Arbeitern in den späten Sechzigern dermaßen gesellschaftsverändernd nur wirken konnte, weil sie die Kultur besetzt hatte. Weil ihre Akteure die Verkrustungen des Musik- und Literaturbetriebes aufgebrochen, weil sie das Elitäre der Bildenden Kunst egalisiert haben. Weil die damaligen Aktionsmuster genau die waren, die nun von den Rechtsradikalen hergenommen werden.
Aber DIE LINKE und die Linke ergehen sich Klein-Klein-Diskussionen, sie streiten um Lenins Bart und Marxens Weltsicht. Sie sind sich spinnefeind und wissen, jedes für sich, alles besser als alle anderen. Das wäre mir nicht schlimm, ich bin ja auch einer von denen.
Was mir aber schlimm ist, was aber nicht geht, ist, dass zu einer Kulturdebatte im Bundestag zwar CDU/CSU, SPD, Grüne und natürlich die AfD sprechen, aber die LINKE sich nicht durchringen kann jemanden in den Ring zu schicken. Das liegt an der begrenzten Redezeit, die für die Gesamtdebatte eines Tages gilt und aufgeteilt werden muss. Natürlich. Aber es ist gleichwohl ein Armutszeugnis. Das darf nicht vorkommen. Man kann es abstellen, das wäre leicht. Dann wäre es eine einmalige Fehleinschätzung und man kann sagen: Schwamm drüber.
Nicht wegwischen allerdings kann man, dass die Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Sahra Wagenknecht, offenbar jede innerparteiliche Tischdiskussion scheut, nur in vollen Sälen antritt, die Fraktion durch die Drohung samt Handtäschchen Fraktionssitzungen zu fliehen und also abzudanken, zu Personalentscheidungen drängt (man verzeihe mir diesen Euphemismus). Immer und immer nutzt sie statt der innerparteilichen Diskussion die Presse, setzt Ideen in die Welt, hält es aber nicht für nötig, diese vorher mit ihren Genossinnen und Genossen zu diskutieren. Das ist, angesichts des Kulturkampfes, Kulturkampf selbst. Es ist die Unkultur einer kleinbürgerlichen Vorgehensweise, die sich auf den Inhalt herausredet, aber vergisst, dass Inhalt eben auch Form braucht. Sonst wird der Wein der Erkenntnis auf dem Boden verteilt, weil er gar kein Gefäß hat, in dem er reifen kann.
Wie lange will die LINKE, die erste sozialistische Partei im Bundestag, eigentlich noch hinnehmen, dass ein durch nichts demokratisch legitimierter Ein-Personen-Nebenvorstand die Partei schädigt? Wie lange wollen die Abgeordneten, die ja durch die demokratischen Entscheidungen ihrer Landesverbände auf die Listenplätze gewählt wurden, auf denen sie in das Parlament gelangten, eine Fraktionsvorsitzende dulden, die sich einen Kehricht um Programmatik und sozialistische Gefolgenheiten schert? Das hinzunehmen, immer wieder, ist eine Abkehr von der guten Kultur der linken Bewegungen, gleich welcher Art sie sein mögen, von der Kultur der Arbeiterbewegung allemal. Aber jetzt die eigenen Traditionen, die eigene politische Kultur auf die leichte Schulter zu nehmen — das bedeutet dem Kulturkampf der Rechten keine eigenes Bild von Geschlossenheit und innerparteilicher Demokratie entgegensetzen zu können. Ein Führerprinzip, eine personenfixierte Sammlungsbewegung (die ja nur sammeln würde um die nötige Schwere zur Spaltung zu erhalten) — das ist nicht links. So etwas mag sich ungewollt aus den zu führenden Kämpfen ergeben. Es gezielt zu wollen und zu schaffen, wie in Frankreich, bedeutet den Niedergang eines wesentlichen Teils linker Kultur, der Demokratie, der Gleichheit, der Solidarität nämlich.
Auf Dauer reißt auch die mediale Präsenz Sahra Wagenknechts nicht raus, was ihre egozentrische und autoritäre Art Politik zu treiben versenkt.
Die Linke braucht DIE LINKE als linke Partei mit den Werten der Arbeiterbewegung, der neuen sozialen Bewegungen, der Demokratie. Dazu gehört auch, dass Programmatik und demokratische Gepflogenheiten wertgeschätzt werden. Dass man sich also verlassen kann auf die Partei DIE LINKE. Als Antirassist in Berlin ebenso, wie als Hartz-IV-Empfänger und Mitarbeiter einer Tafel in Bauzen, Bottrop oder Pinneberg. Daran hapert es jedoch. Und es hapert daran, weil DIE LINKE im Großen und Ganzen, und aus eigenem Verschulden, mit Sahra Wagenknecht gleichgesetzt wird. Man dürfte erwarten, auch außerhalb der LINKEN, dass Wagenknecht sich der herausgestellten Rolle bewusst ist und sich entsprechend verhält. Und es scheint klar zu sein: Sie weiß ihre Medienpräsenz zu nutzen, kennt also ihren Einfluß. Allerdings nutzt sie ihn eher für eigene Ideen, denn für die Verbreitung der programmatischen Linie der LINKEN.
Wenn die LINKE eine Zukunft haben will, muss sie dem Einhalt gebieten. Auf Dauer kann keine Partei, zumal, wenn sie aus so vielen Strömungen besteht wie DIE LINKE, es verkraften nur mit den individualistischen Positionen einzelner hervorgehobener Personen wahrgenommen zu werden. Das verzerrt das Bild der Gesamtpartei, macht sie quasi zu einem Wahlverein, überlagert bis zur Unkenntlichkeit die Arbeit anderer Abgeordneter bis in die Landespolitik hinein.

Die bundesdeutsche Linke, so glaube ich, erwartet von der LINKEN auf ihrem Bundesparteitag die Weichen so zustellen, dass der Zug die richtige Strecke nimmt. Und vielleicht sollte auch klar gemacht werden, dass der demokratisch legitimierte und ordentlich gewählte Parteivorstand die Partei führt und nicht die Vorsitzende der Fraktion, der kein Parteigremium den Auftrag erteilt hat losgelöst von Partei und Programm als Verkaufsleiterin des wagenknechtschen Ideensupermarktes zu agieren.
Nur wenn DIE LINKE es schafft, Funktionen mit zuverlässigen und vertrauenswürdigen Mitgliedern zu besetzen, wird sie in der Lage sein, die Stärke zu erlangen, die es ihr ermöglicht maßgeblich zu einer politischen Wende in der Bundesrepublik beizutragen. Denn dazu ist es nötig als Partei eine größere Stammwählerschaft zu gewinnen. Das Reüssieren als Fan-Club ist dabei eher hinderlich. Das Besinnen auf die Stärken der eigenen Kultur, der linken, demokratischen Traditionen, wäre gewinnbringend. Und gemeinsam getragene Spitzenkräfte, die hinter sich die Genossinnen und Genossen ihrer Partei wissen und deren Genossinnen und Genossen zugleich wissen: auf die können wir uns verlassen — sie würden medial ebenso wahrgenommen werden, wie es eine Sahra Wagenknecht jetzt wird.

Foto Katja Kipping: Mark Muehlhaus attenzione photographers
Foto Sahra Wagenknecht: Pressebild von sahra-wagenknecht.de