Museumsreif: Zensur
Seit ein paar Jahren betreiben der Betriebswirt Daniel Bettermann und der Verleger Dr. Roland Seim gemeinsam das in Europa einmalige Onlinemuseum mit derzeit ca. 200 Exponaten zum Thema Zensurgeschichte – das „Deutsche Zensur-Museum“. Es ist unter: http://www.deutsches-zensur-museum.de/ zu finden.
Im Dezember 2011 entstand das folgende, per E-Mail von Maurice Schuhmann geführte Interview mit den beiden Initiatoren des Museums. Wir drucken einen Auszug aus dem Interview ab.
Seit wann existiert das „Museum für Kunst- & Pressefreiheit“? Wie kam es zur Gründung? Was war der (konkrete) Anlass?
Daniel Bettermann: Die Idee, der Kunst- & Pressefreiheit ein Museum zu widmen, entwickelte ich aus einer Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek, die unter dem Titel „Der Giftschrank“ im Jahr 2002 erstmals ihre verbotenen Bücher öffentlich zeigte. Ich besuchte diese Ausstellung in München mehrmals und kam dabei auf den Gedanken, aus solch einer interessanten Ausstellung ein dauerhaftes Museumskonzept zu entwickeln. Da es jedoch unmöglich ist, ein derartiges Projekt alleine auf die Beine zu stellen, sprach ich unter anderem Dr. Roland Seim an, einem der gefragtesten Experten zum Thema Zensur. Überraschenderweise stellte sich dabei heraus, dass Herr Dr. Seim parallel ebenfalls mit dem Gedanken spielte, ein Zensurmuseum zu errichten. Seit dem Jahr 2005 arbeiten wir nun daran, im Museum die Geschichte der Kunst- & Pressefreiheit in Deutschland repräsentativ zu dokumentieren. Dabei kommt unserem Konzept entgegen, dass wir in Deutschland für solch ein Museum besondere Voraussetzungen haben. Zum einen wurde hier der Buchdruck erfunden, der die Zensur durch die daraus entstehende Flut an Publikationen besonders „beflügelte“. Zum anderen können wir in Deutschland durch unsere historischen Entwicklungen aus einem besonders reichhaltigen Fundus schöpfen, anderes ausgedrückt: Unsere Geschichte hat eine Vielzahl sehr interessanter Beispiele für Eingriffe in die Kunst- & Pressefreiheit hervorgebracht.
Platt könnte man fragen, warum man in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik, die in ihrem Grundgesetz die Meinungsfreiheit garantiert, Zensur benötigt?
Dr. Seim: In der Tat ist Deutschland ein Rechtsstaat, in dessen Grundgesetz Art. 5 zusichert: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Aber alles Weitere regeln die Gesetze, und davon gibt es im Medienbereich eine ganze Menge. Zahlreiche Organisationen wie die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die Freiwilligen Selbstkontroll-Gremien und die Gerichte versuchen, Unerwünschtes zu verbannen. Die Grauzone zwischen Jugendschutz und Medienfreiheit, zwischen dem Verbot von sog. Gewaltverherrlichung oder „harter“ Pornographie und der Erwachsenenzensur ist fließend und ändert sich entsprechend dem gesellschaftlichen Wertewandel und Zeitgeist. Wir dokumentieren, wie sich die Grenzen des Darstellbaren und Erlaubten verändern und verschieben. Freiheit ist kein einmal errungener und ewig bestehender Zustand, sondern stets gefährdet, sei es durch die Politik (z.B. Vorratsdatenspeicherung, Anti-Terrorgesetze), sei es durch Interessengruppen (z.B. Kirchen) oder die Wirtschaft (z.B. Medienkonglomerate).
Welche Bereiche deckt das Museum ab? Wie viele Exponate sind zu sehen?
Daniel Bettermann: Wir werden in einer Dauerausstellung mit rund 200 einzelnen Exponaten die Geschichte der Kunst- & Pressefreiheit in Deutschland dokumentieren. Die Ausstellung ist dabei sowohl chronologisch als auch nach Medientyp wie Buch, Film, Musik etc. gegliedert. Dem Bereich Erotika kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu, ist doch gerade dieses Themenfeld von Eingriffen besonders betroffen. Zunächst machen wir gut ein Drittel der Exponate im Internet in unserer Online-Ausstellung kostenlos verfügbar. Später folgt die Präsentation in Räumlichkeiten in München. Neben der Dauerausstellung wird es diverse sehr spannende Sonderausstellungen geben, die zu bestimmten Anlässen oder Themen veranstaltet werden. Auch Auftritte bekannter Persönlichkeiten des Kulturlebens sind geplant, die einmal mit dem Thema Zensur konfrontiert wurden.
Bezüglich der Zensur hört man von den Befürwortern immer wieder als Argument, dass es um den Schutz von Minderjährigen geht. Wie reagieren Sie auf solche Argumentationen?
Dr. Seim: Zensur und Jugendschutz sind zwei unterschiedliche Dinge, die argumentativ gerne durcheinander gebracht werden. Vermutlich jedes Land der Erde hat Freigaberegelungen für Filme, da niemand ernsthaft bestreiten kann, dass nicht alles für alle geeignet ist. Die meisten Länder lehnen auf dem Papier zwar Zensur ab, praktizieren sie realiter aber dennoch. Die Liste von „Reporter ohne Grenzen“ zeigt jedes Jahr wieder aufs Neue, wie Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen. Wir sind auch der Meinung, dass ein sinnvoller Jugendschutz hilfreich für die Entwicklung ist, möchten aber aufzeigen, wo die Grenzen zu einer möglichen Erwachsenenzensur überschritten werden. Besser als Verbote sind in aller Regel eine bessere Erziehung und eine Stärkung der Medienkompetenz. Gerade in Zeiten des Internet sollte man das als Schulfach anbieten, eine Art Führerschein für den Mediendschungel. Jugendliche sollten nicht nur zwischen gut und böse unterscheiden lernen, sondern auch zwischen gut und schlecht.
Die Zensur scheint es weiterhin oberflächlich lediglich bei Verstößen gegen die Persönlichkeits- und Urheberrechte (Bsp. „Asterix gegen das Atomkraftwerk“), auf Grund des Paragraphen Volksverhetzung oder wegen des Aufrufs zu Straftaten zu geben. Wo fängt für Sie die Zensur an? Ist eine generelle Definition der Zensur möglich?
Dr. Seim: Kommt drauf an, wie der Jurist sagt. Eine Definition von Zensur hängt davon ab, wen sie fragen. Für Juristen ist nur eine zwingend vorgeschriebene, staatliche Vorzensur problematisch; Sozialwissenschaftler definieren machtpolitische Eingriffe in Kommunikationsakte zur Veränderung oder Verhinderung von Informationsaustausch als zensurrelevant. Die meisten strafrechtlichen Zensureingriffe basieren auf § 131 StGB (Gewaltverherrlichung) und § 184 StGB (Pornographie). Deswegen sind derzeit rund 500 Filme verboten, darunter auch Klassiker wie „Tanz der Teufel“, „Zombie“ und „Braindead“. Zivilrechtlich führen vor allem Verstöße gegen das Persönlichkeitsrecht zu Unterlassungsklagen und Einstweiligen Verfügungen. Bekanntestes Beispiel dürfte der Roman „Esra“ von Maxim Biller sein. Markenschutz- und Urheberrechte sind eine wirtschaftsjuristische Grauzone, wegen der einige Verbote verfügt wurden. Vor allem Goscinny, Uderzo und Disney sind da ziemlich pingelig.
Immer wieder von Zensurmaßnahmen war die erotische und pornographische Literatur betroffen. Wie ist diesbezüglich Ihrer Einschätzung nach die Situation? Ich erinnere mich daran, dass vor ein paar Jahren der Männerschwarm Verlag wegen der Veröffentlichung von „Murats Traum“ sich mit einem Strafverfahren konfrontiert sah.
Daniel Bettermann: Richtig, gerade erotische Literatur oder die, die dafür gehalten wurde, geriet historisch betrachtet immer wieder in die Mühlen moralischer Institutionen wie Prüfstellen. Im Museum zeigen wir hier sehr interessante Beispiele aus den vergangenen Jahrhunderten.
Dr. Seim: Ja, besonders „Körperthemen“ wie Sex und Gewalt waren – und sind es z.T. bis heute – von Zensureingriffen bedroht, da sie anarchische Unberechenbarkeit des ekstatischen „Außer-sich-seins“ zum Thema haben. Lüsternheit lässt sich schlecht regieren oder reglementieren. Von seicht frivolen Diaserien und Herrenheftchen der jungen Bundesrepublik bis zur HC-Pornographie landeten tausende von Medienobjekten auf dem Index der Bundesprüfstelle. De Sades „Philosophie im Boudoir“ stand ebenso drauf wie Sacher-Masochs „Venus im Pelz“. Wegen Pornographie unterliegen derzeit rund 170 Medienobjekte einem Totalverbot auch für Erwachsene. Selbst der Roman „Perlen der Lust“ wurde in den 80er Jahren bundesweit beschlagnahmt.
Inwieweit ist derzeit sadomasochistische Literatur von Zensurmaßnahmen betroffen? Gibt es derzeit prominente Fälle von zensierter Erotikliteratur aus dem sadomasochistischen Genre? In welchem Umfang ist derzeit erotische Literatur im generellen von der Zensur betroffen?
Dr. Seim: Es stehen zwar immer noch hunderte von sexaffinen Titeln auf dem Index, in letzter Zeit wird erotische Literatur aber vergleichsweise selten zensiert, indiziert oder verboten, da Jugendliche kaum das Zielpublikum sind und ohnehin selten lesen. Erotische Phantasien in Buchform genießen relativ große Freiräume, wobei die Verbindung von Sex und Gewalt aber immer noch eine problematische Spielart darstellt, da sie Minderjährigen ein sozial unerwünschtes Rollenbild der Geschlechter suggerieren oder gegen die Menschenwürde könnte. Während sog. Hochkultur wie Theateraufführungen oder Museumsausstellungen kaum eingeschränkt werden, hat es sog. Trivialkultur in Form von Comics, PC-Spiele, Filme, Websites oder Pop-Musik schwerer, auch weil sie von Minderjährigen und eher bildungsfernen Schichten konsumiert werden und diese Medien zudem realistischer als Literatur daherkommen. Im Pornobereich lässt sich zudem feststellen, dass der Trend zum Amateursektor – vor allem im Internet mit Webcam-Shows – geht. Wie wir in unseren „Ab 18″-Bücher zeigen, sind Klassiker wie John Clelands „Fanny Hill“ oder „Die Geschichte der O“ nicht mehr indiziert, während John Willies Comic „Sweet Gwendoline“ und von Göthas „Leiden der jungen Janice“ oder Josefine Mutzenbacher (um 1900 vermutlich von Felix Salten verfasst) bis heute auf dem Index stehen, da die BpjM der Meinung ist, es handle sich dabei u.a. um Kinderpornographie. „Hostel 2″ wurde als Vertreter des aktuellen Film-Genres „Torture Porn“ bundesweit beschlagnahmt und eingezogen. Wie sehr Erotik in manchen Kreisen immer noch als Schweinkram gilt, zeigt das Beispiel von „Weltbild“. Der erfolgreiche Verlag soll nun verkauft werden, da auf deren Website Erotikbücher zu kaufen waren, und die katholische Kirche als Eigentümer damit kein Geld verdienen dürfe. Sogar der Papst schaltete sich ein, und der Geschäftsführer wurde entlassen.
Wie steht Deutschland damit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Ist hierzulande die Zensurbestrebung stärker oder schwächer als in den Nachbarländern ausgeprägt?
Dr. Seim: Traditionell liberaler sind die Skandinavier, wo eigentlich alles erlaubt ist, was Erwachsene im gegenseitigen Einvernehmen miteinander machen, und die Benelux-Staaten. In Amsterdam etwa kann man sogar Tierpornos frei erwerben, ohne dass zu beobachten wäre, dass sich der Holländer verstärkt an Schoßhunden vergriffen. In Deutschland hingegen ist das Prinzip der Bewahrpädagogik ausgeprägter. Die Bundesprüfstelle ist eine nur bei uns zu findende Behörde. Aber auch dort hat man durchaus dazugelernt. Mit einfacher Erotik schockt man dort niemanden mehr. Internet, Privat- und Satellitenfernsehen haben doch zu einer gewissen Toleranz oder vielleicht auch Gewöhnung an Inhalte geführt, die zu Zeiten von Oswalt Kolle oder Beate Uhse noch undenkbar waren.