Erinnerung an Klagenfurt: Mein literarischer Bauchklatscher
Von Martin Ahrends
- Von: Martin Ahrends
- 24.06.1994 – 08:00 Uhr
Im Juni 92 hab ich zum zweiten Mal in Klagenfurt gelesen und mußte mir zum zweiten Mal sagen lassen, daß ich Kitsch verzapft hätte anstatt hochklassiger Literatur. Wie ich den Tag zu Ende gebracht hab, weiß ich nicht mehr genau, ich kann mich nur erinnern, das Gelände des österreichischen Fernsehens, den Ort meiner Schande, strikt gemieden zu haben; vor einer Teilnehmerin, die mir auf der Straße entgegen kam, hab ich mich im Hausflur versteckt. Bis zum Abend bin ich im wimmelnden Strandbad und im Wörthersee untergetaucht. Bin weit geschwommen mit dem Gefühl, etwas abwaschen zu müssen.
An den nächsten Tag erinnere ich mich genauer. Da bin ich in die Berge gefahren und stundenlang gelaufen, ohne auf einen Menschen zu treffen. Nur ein paar Kühe traf ich an, von begehrlichen Fliegen geplagt. Auch mir folgte bald ein wachsender Schwärm. Solang ich lief, umschwirrten sie meinen Nacken, sobald ich stand, waren sie um mich herum und setzten sich. Zu entkommen war ihnen auch im Laufschritt nicht, sie blieben dicht hinter mir, und ich war für Stunden Wegs vor ihnen auf der Flucht. Vor der Niederlage. Vor den Sätzen der Juroren, die mich in die Winkel meines Textes jagten, auf der Suche nach wirklichen oder vermeintlichen Schwächen. Saß schließlich in einem Bahnhofsrestaurant, und die Erschöpfung gab mir das Gefühl, das Schlimmste hinter mir zu haben.
Nach diesem Marsch wollte ich den ändern wieder unter die Augen treten können, ich wollte fertig geworden sein und abgeschlossen haben. Und weil der Sommertag noch nicht zu Ende und eine Dampferfahrt der Dichter und Juroren geplant war, begab ich mich zum Wörthersee, bestieg mit den anderen das Schiff, nicht ohne die Blicke zu prüfen, die mir da begegneten: Nein, meine Schmach hatte offenbar keine nachhaltigen Spuren hinterlassen, man hatte mir verziehen oder mich schon vergessen.
Dann saß ich mit einem Redakteur beim Wein, ich trank hastig, er sprach viel. Und plötzlich ereilte mich das Gefühl der großen Unangemessenheit: Wie sie sich gestern mit scharfer Klinge über meinen Text erhoben hatten und wie sie da nun neben mir standen, lachten, plauderten, mir auch ermunternd auf die Schulter klopften, wie sie posierten und Pointen drechselten vor der laufenden Kamera des ZDF – dieses Schlachtfest, dem ich als Opferlamm mit meinem heißen Blute gedient hatte, war wohl doch so ernst nicht gemeint. Man hatte mich wohl doch nicht ganz töten wollen, es war eher ein Spiel gewesen, und man erwartete nun wohl, daß ich von meiner Schlachtbank aufspringen und munter blöken solle. Und dies leere Bullauge, hinter dem Zehntausende winziger Äuglein lauerten, dieser indiskrete Beobachter, der unsere Hinwendung absog, der aus Autoren, Lektoren und Kritikern Laiendarsteller machte, war mir der blanke Hohn. Als wäre da nicht getötet worden und gestorben. Mir war es Ernst gewesen. Und sollte nichts gewesen sein als schlechtes Fernsehen. Eben wollte ich meinem Gegenüber die große Unangemessenheit erläutern zwischen dem Televisionären und dem Literarischen, da hatte ich eine bessere Idee: Rache. Ich stellte mich bereit, winkte das ZDF Team herbei, flüsterte dem Redakteur Herles meine Absicht ins Ohr, woraufhin der prompt die Linse schärfte. Er fragte nicht, was das mit Literatur zu tun hat, nur eitel Freude war in seinen Augen. Da hab ich nett gewinkt und bin gehopst.
Die Herren haben meinen Sprung so gut festgehalten, daß er in den Vorspann der Klagenfurter Fernsehübertragungen aufgenommen wurde: Seht her, solches kann immerhin geschehen, wo es um Literatur geht! Ich bin mit Sachen gehopst, aber die hinter der Kamera haben sich entblößt. Sie haben allen gezeigt, wozu Fernsehen taugt und wozu nicht.
Wenn Literatur das permanente Gespräch ist zwischen Büchern und Lesern, Lesern und Lesern, ein internes, seinem Gegenstand nach aber sehr öffentliches Gespräch, das man auch ganz allein in einer S Bahn führen kann, sofern ein Buch zur Hand ist, als innere Zwiesprache, die auf Lektüre reagiert, wenn dies Literatur ist, dann ist sie eben nicht Fernsehen.
Es hat seinen Sina, daß es alle peinigt, wenn jemand während einer Lesung den Raum verläßt. Die Übereinkunft ist, daß man einen Text aushallen muß, um ihn schließlich auch genießen zu können. Es ist etwas grundsätzlich anderes, ob man sich gemeinsam auf etwas einläßt, dessen Sinn sich entfaltet, weil man so leicht nicht entkommen kann, das unentrinnbar ist wie das Leben, oder ob man allein den anderen bei etwas zuschaut, das jederzeit abzuschalten geht. Ein Literatur Gespräch kann man vor der Kamera führen, es ist danach: vorgeführt. Das Gespräch, das Literatur an sich ist, kann man mit der Glotze nicht führen.
Und Klagenfurt feiert die Literaturdarsteller. Das Fernsehen, das ein Gespinst literarischer Öffentlichkeit, das auch in den Klagenfurter Tagen entsteht, aus den Pausengesprächen, in nachdenklichen Gesichtern aufzufischen sucht und dabei nicht nur verfehlt, sondern zerreißt, das Medium, das hinter die Kulissen, und das heißt: hinter die Stirnen gucken möchte, alleweil Nasen in Großaufnahme zeigt und doch immer draußen bleibt, zumal sich die Gesichter vor ihm schließen – es ist Schuld an einer Vergröberung der Literatur, die sich genötigt findet, fernsehgerecht zu sein. Nein, das Medium trifft natürlich keine Schuld, eher schon diejenigen, die hier Literatur verwursten und es eigentlich besser wissen müßten.
Die Leute mit der Kamera waren in Klagenfurt überall dabei, sie, das heißt: ein riesiges Publikum, sahen uns dabei zu, wie wir über die Wiese gingen und uns in der Nase bohrten. Das Massenmedium umlauerte uns mit der ihm eigenen Erwartung fernsehwirksamer Effekte: Wutausbrüche, Eklats, Blut, Schweiß und Tränen (Der sich während seiner Lesung das Messer über die Stirn zog, hat genau das getan, was die Kamera von ihm wollte: Er hat ihr Einblick verschafft in das Dahinter ) Nun man also auf einem Literatendampfer mit der großen Kamera wieder mal nach dem „Ereignis Literatur“ suchte, bin ich gehüpft. Ich wollte etwas Verkehrtes machen auf der verkehrten Veranstaltung. Und hab mich blamiert, zum zweiten Mal. Aber das ZDF hat sich auch blamiert.
Zuerst erschienen in: DIE ZEIT, 24.6.1994 Nr. 26
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