Diese Leipziger Buchmesse hatte einen anderen Impetus, als die vorherigen. Ich konnte, ja, ja, ich weiß, das ist übertrieben, körperlich spüren, dass etwas geschehen sein musste. Auf der Metaebene, also im Allgemeinen, in jenem nicht leicht zu fassenden Distrikt, in dem sich Variationen des Üblichen ereignen. Die Messe selbst war da nur der Ereignishorizont dessen, was, wenn – ein notwendiger Vorbehalt – ich mich nicht vertue, stickum, klandestin passiert zu sein scheint.
Es waren bereits am ersten Tag, dem Donnerstag, viel mehr Besucher in den Hallen, als sonst. Und das Quantum derer, die über Literatur und nicht nur über Bücher sprechen wollten, war in einer Anzahl gestiegen, die ich nur schwer unter Zufall verbuchen möchte.
So aber ging es weiter. Wohin ich auch kam: Man sprach über Literatur, man interessierte sich, es wurde allenthalben diskutiert. Ich war auf vielen Veranstaltungen des Kulturmaschinen Verlages, auf alle zu gehen, schaffte ich nicht. Simone Barrientos hat Stücker achtzehn organisiert. Aber auch auf einigen Veranstaltungen anderer Verlage nahm ich teil.
Der Verlagsabend der Kulturmaschinen war ebenso gut besucht, wie die Buchverorstellung von Juan Riquelme Lagos‘ wunderbarem Buch Inocencia, das sogar in zwei Sprachen, Deutsch und Spanisch, vorliegt. Und der Verlagsabend war lang‘, man las von acht Uhr am Abend bis kurz vor Mitternacht. Und nicht viele gingen – was verzeihlich gewesen wäre, gab es doch zur gleichen Zeit viele pararelle Veranstaltungen anderer Verlage und Vereinigungen.
Der Abend, an dem das Werk Franz Josef Degenhardts vorgestellt wurde, war gut besucht, obwohl die wunderschönen Räume der Gutenberg Druckerei nicht zentral liegen. Jan Degenhardt sang, ein Stück auch zusammen mit Simone Barrientos. Die Verlegerin und ich lasen aus dem Werk. Und wieder: Gespräche, Debatten, unerwarteter und deshalb doppelt schöner Tiefgang.
Das berichteten auch Jutta Schubert, die mit „Zu blau der Himmel im Februar“ an den Weiße-Rose-Gründer Alexander Schmorell erinnert, übrigens auf sprachlich höchstem Niveau, und Martin Ahrends und Jan Eik, die es in eine Kleintierpraxis verschlagen hatte, wo sechzig Literaturfreunde den Schriftstellern lauschten. Und auch bei Heinrich von der Haar war es voll.
Als ich unlängst im Ausland war, fiel mir auf, wie viele Buchhandlungen es dort gibt; nimmt man Deutschland als Vergleich sind es dramatisch viele. Man liest dorten also offenbar oft, gerne und viel. Simone Barrientos, die mit der Schriftstellerin und Regiseurin Jutta Schubert und mit Peter H. Gogolin auf Einladung der deutschen Botschaft in Cuba war, erzählte mir von dort Gleiches. Und nach all den Jahren in Deutschlands Literaturbetrieb habe ich nun das Gefühl, es gäbe einen neuen Aufbruch, es könnte also zukünftig besser bestellt sein um die Literatur. Übrigens bin ich mit meiner Eintaxierung nicht allein. Abends im Presseclub, wo es Journalisten hat, die viel mehr als ich über den Literaturmarkt schreiben, also auch jene journalistische Tätigkeit leisten, die über das Feuilleton hinausgeht, fand ich nichts als Zustimmung zu meiner Einschätzung.
Was die Messe in Leipzig leistet, insbesondere das nervenstarke und tapfere Team von „Leipzig liest“, ist eine Arbeit, die nicht positiv genug bewertet werden kann. Sie organisieren 2900 Veranstaltungen, sie schleusen 168.000 Menschen über die Messe und sie schaffen es, dies alles mit einer Atmosphäre zu versehen, ja zu schützen, in der die Literatur gedeihen kann – und es auch tut.
Warten wir nun die Frankfurter Buchmesse ab und analysieren wir, ob eine Messe, die sich drei Fachbesuchertage für ein Fachpublikum gönnt, das es kaum noch gibt, auch wieder zu einer Messe für kleinere Verlage werden kann. Und analysieren wir auch, ob eine Messe, bei der es viel mehr als in Leipzig um die Ware Buch und nicht die Kunstgattung Literatur geht, eben auch das sein kann: Eine Messe für Literatur und nicht nur eine Messe fürs Geschäfte.
Foto: Henning111, wikipedia