Es ist vermutlich eine britische Eigenschaft: Sachbücher so zu schreiben, dass es Spaß macht, sie zu lesen. Solche Bücher gibt es natürlich auch im deutschen Sprachraum, aber hier sind es einige wenige. Das ist der Unterschied. Und so hat der britische Autor Owen Jones mit „Prolls – die Dämonisierung der Arbeiterklasse“ ein Buch vorgelegt, welches man nicht nur mit Interesse, sondern auch mit Lesefreude zu sich nehmen kann.
Jones, Historiker und Journalist, hat akribisch recherchiert. Und das Ergebnis seiner Recherche über Arroganz und Menschenverachtung der britischen Mittelschicht ist zu einem Buch geronnen, dessen klare Sprache einen heranführt an die Denkungsart der Prosecco trinkenden Mittelschichtskretins, die nicht nur in Großbritannien die Geschicke des Staates leiten.
Owen Jones spürt den Rufmordritualen einer Journaille nach, die den Blutdurst der wohlhabenden Mittelschichten bedient. Er zeigt an exemplarischen Beispielen den Klassenhass auf, den die Bourgeoisie ohne jede Selbstreflexion jenen entgegenbringt, die die marginalisierte Arbeiterklasse bilden. Die Widerlichkeit dieser Denkungsart wird schonungslos offengelegt. Dabei bleibt – ein großes Verdienst des Autors – er unterhaltsam, also nicht nur lesbar, sondern gern lesbar.
Die Hetzjagden auf vermeintliche Kindsmörder, das Aufzeigen der unterschiedlichen Berichterstattung bei Kindstötungen im den verschiedenen Milieus – das gelingt Jones so intensiv, dass das Ergebnis im Leser verbleibt und den Blick auch auf hiesige Verhältnisse öffnet.
Da generiert sich eine Mittelklasse als Wahrer von Liberalität und Fortschritt. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Nicht sie, sondern die von ihr verachtete und nach allen Regeln der demagogischen Kunst bekämpfte Unterschicht ist es, in der die Akzeptanz von Homosexuellen und konfessionellen Mischehen die durchschnittliche Verhaltensweise ist. Owen Jones deckt also nicht nur auf, wie die Mittelklasse mit den Marginalisierten umspringt, sondern auch, wie sie sich selbst belügt.
Owen Jones macht keinen Hehl daraus, dass die Verachtung der Arbeiterklasse auch deshalb so stattfinden kann, wie sie stattfindet, weil die Gewerkschaften nach den Regierungsjahren der Torys und der Kamarilla von New Labour schwach sind, weil der Stolz der englischen Arbeiterklasse gebrochen ist und natürlich, weil der Niedergang der britischen Industrie auch ein Niedergang der Arbeiterklasse war, die angewiesen auf staatliche Transferleistungen, mit hohen Arbeitslosigkeitsraten den Zusammenhalt verloren hat.
Eine Gesellschaft, in der für die Mittelklasse Kampfsportkurse angeboten werden, um den Prolls, die in England Chavs heißen, ordentlich aufs Maul zu hauen, eine Gesellschaft, in der der Klassenkampf der Reichen gegen die Armen in der Tat noch das ist, was sein Name suggeriert, Kampf nämlich: Owen Jones bringt sie uns näher. Und er schreibt dabei in einem Stil, von dem sich hiesige Autoren gerne eine Scheibe abschneiden können. Spannend, journalistisch sauber und gut recherchiert. Ein seriöses und verdienstvolles Buch – nicht nur über die Gesellschaft auf der Insel.
Verlag André Thiele | 2012 | Hardcover | 314 Seiten | 9783940884794 | € 18,90
http://www.vat-mainz.de/buecher/sachbuch/jones-prolls.php