Unterschwellige Faszination

Mit einer Verspätung von fünf Jahren hat Felix Klopotek nun eine sehr kompetente und lesenswerte Einführung in den Rätekommunismus vorgelegt. Der Rätekommunismus geniesst ja in linken Kreisen einen gewissen Mythos, der hier in jener Einführung ein Stück weit geerdet wird. Über jene Glorifizierung des Rätekommunismus schreibt der Autpr einleitend: „Der Rätekommunismus vereinigt – theoretisch wie historisch – Sehnsüchte gegenwärtiger linker Debatten, daher seine anhaltende, unterschwellige Faszination. Er verbindet eine Außenseiterposition – die radikale Ablehnung aller bis dahin überlieferten linken Politikkonzepte – mit einer Absage an die Avangarde. Er geht von der Spontanität der proletarischen Masse aus, setzt sie aber nicht absolut, sondern leitet sie aus dem Gang der kapitalistischen Entwicklung ab.“ (13f). Als roter Faden ziehen sich dabei folgende zwei Thesen durch die vierzehn inhaltlichen Kapitel: „Der Rätekommunismus ist als Lehre von den Widerständen zu verstehen, die sich den Arbeiterinnen und Arbeitern bei ihrer Selbstbefreiung in den Weg stellen und gegen die sie sich auflehnen müssen, um ihre Bedürfnisse, ihr soziales Miteinander durchsetzen zu können. [… D]ie zweite These [lautet, dass (…)] der Rätekommunismus nicht länger als eine weitere linksradikale Strömung in der Arbeiterbewegung zu verstehen, sondern als grundsätzliche Kritik auch an diesen – aus Sicht der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst.“ (8). In den ersten beiden Kapiteln steckt er sowohl, bevor er dann chronolgisch bis ca. ins Jahr 1968 die Geschichte jener Strömung nachzeichnet. In Bezug auf das Jahr 1968 schreibt er: „Die Ereignisse von ‚1968‘ lösten auch eine Welle wissenschaftlicher Arbeiten zum Rätekommunismus aus, zahlreiche Reprints und Raubdrucke erschienen. Aber dieser kurzlebigen theoretischen Rezeptionsteht keine praktische gegenüber.“ (228). Hierbei spart er auch nicht die kritischen Aspekte jener Strömung aus – z.B. verweist er wiederholt auf die fehlende Analyse des Antisemitismus oder das völlige Fehlen feministischer Gesichtspunkte innerhalb der Ideengeschichte jener Strömung. Wichtig sind auch immer wieder die Richtigstellungen bezüglich der Bedeutung Rosa Luxemburgs für die Entwicklung rätekommunistischen Denkens.

Klopotekg ist in seiner Darstellung sehr fokussiert – und klammert sowohl rätedemokratische Ansätze wie die der deutsch-jüdischen Theoretikerin Hannah Arendt als auch den anarchistischen Diskurs und Bezug auf Räte, wie er z.B. in Erich Mühsams programmatischer Schrift „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“ zu finden ist, völlig aus. Auch einzelne rätekommunistische Denker – wie Otto Rühle, der häufig als einer der Begründer der Strömung gilt, kommen etwas zu kurz, wie er selber zugibt. Insgesamt ist es eine sehr gute Einführung geworden.

Maurice Schuhmann

Felix Klopotek: Rätekommunismus, Schmetterling Verlag, Reihe: theorie.org, Stuttgart 2021, 252 S., Preis: 12€, ISBN: 978-3896576743.