Ein demokratisierter Nietzsche

Friedrich Nietzsche ist einer der umstrittensten und umkämpftesten Philosophen des 19. Jahrhunderts. In seiner Philosophie sah man den Faschismus angelegt, während gleichzeitig italienische Widerstandskämpfer die Studienausgabe seines Werkes begründeten; seine misogynen Züge hinderten Teile der Frauenbewegung nicht daran, ihn als Vorkämpfer gegen und Umwerter von patriarchalen Werten zu interpretieren.

Im Kampf um die Deutungen kommt Thomas Mann, der sich sowohl literarisch (Doktor Faustus, 1943-47) als auch essayistisch (Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erkenntnis, 1947) mit ihm auseinandersetzte, als deutschen Intellektuellen vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und seiner Instrumentalisierung von Nietzsches Philosophie eine besondere Bedeutung zu. Rolf Zimmermann dockt hierbei an. Die Ausgangsbasis für seine Untersuchung bildet eine These Theodor W. Adornos. Dieser hatte in seinem Essay „Imaginäre Begrüssung Thomas Manns“ (1952) erklärt, dass Thomas Mann die Humanität Nietzsches gerettet habe. Er entwickelt daraus „eine perspektivische Systematik, die anhand von Thomas Manns.Zeitgenossenschaft darlegt, wie eine Nietzscheanische Weltsicht mit der Verarbeitung politischer Umbrache und Erfahrungen einhergeht, die Kultur und Demokratie in eine produktive Beziehung setzt.“ (S. 15) Dem entsprechend widmet er sich in den ersten beiden Kapitel der Nietzsche-Verarbeitung von Man, um sich nach einer Auseinandersetzung mit mit Nietzsches Begrifflichkeit sowohl dem Faustus-Roman und dem Nietzsche-Essay zuzuwenden. Anschliessend widmet er sich der von Mann proklamierten Distanz Nietzsches gegenüber dem Faschismus um einen Ausblick im letzten Kapitel auf das 21. Jahrhundert zu widmen. „Thomas Manns Sicht auf Nietzsches Philosophie steht exemplarisch für das Geist-in-der-Zeit-Problem unter dem Aspekt der Verschiebung und Kritik dieser Philosophie im Medium historischer Erfahrung.“ (S. 332)

Der habilitierte Philosoph Zimmermann zeichnet mit sehr viel Sachkenntnis und Tiefgang die Nietzscherezeption von Thomas Mann nach, wobei er sich fast ausschließlich auf die vorliegenden Quellen stützt. Er ist dabei sehr leserfreundlich, da er einerseits regelmäßig ein Resume seiner Überlegungen zieht, andererseits verweist er er nicht lediglich auf Textpassagen, sondern zitiert die wesentlichen, so dass eine bequeme Lektüre ohne zusätzliche Recherchen möglich ist. Ausgehend davon eröffnet er die Perspektive, die sich aus Nietzsches Philosophie ergibt. Insgesamt ist dabei eine sehr spannende und gute Studie herausgekommen, die sowohl die Auseinandersetzung mit Nietzsche als auch die mit Thomas Mann befruchtend sein kann.

Maurice Schuhmannn

Rolf Zimmermann: Angekommen in der Republik. Thomas Mann, Nietzsche und die Demokratie, Verlag Karl Alber 2017, ISBN: 9783495489048, 352 S., Preis: 29€.